Kommentar: Verfeindete Brüder

Es gibt jemanden, der sich über öffentliche Aussöhnung von Bush und Schröder nicht gewundert hätte: Karl Marx. Der nannte die Herrschenden der kapitalistischen Staaten seiner Zeit "eine Bande verfeindeter Brüder". Verfeindet, weil alle Herrschenden in ökonomischer und militärischer Konkurrenz um die Aufteilung der Welt stehen. Brüder deshalb, weil sie doch alle zusammenstehen, wenn ihr System von unten bedroht wird.
Marx hatte noch zu Lebzeiten genug Anschauungsmaterial. Beim deutsch-französischen Krieg 1870/71 standen sich der französische General Thiers und der deutsche Kanzler Bismarck als Gegner gegenüber. Doch als bewaffnete Arbeiter in Paris die Kontrolle übernahmen und die "Kommune" ausriefen, zögerte Bismarck keine Sekunde Thiers bei der Niederschlagung der Kommune zu helfen.
Die "Erstürmung des Himmels" durch die Pariser Arbeiter endete mit 40.000 Toten und beruhigten Herrschern in Deutschland und Frankreich.
Was die Kommune für Bismarck, ist der Irak für Schröder. Die irakische Widerstandsbewegung gegen die Besatzung erstürmt zwar nicht den Himmel. Sie bedroht jedoch gleichermaßen die Interessen der Herrschenden in USA und Europa.
Ob Ägypten, Saudi-Arabien oder Jordanien – keine der korrupten Diktaturen im Nahen Osten könnte sich ohne westliche, insbesondere amerikanische Unterstützung lange halten. Eine zunehmend verarmende und aufgebrachte Bevölkerung wird mittels Folterkeller, Polizeiknüppel und Henkersschwert unter Kontrolle gehalten. Damit wird die Ausbeutung der Region durch den Westen und lokale Potentaten sichergestellt.
Ein erzwungener Rückzug amerikanischer und britischer Truppen würde die lokalen Diktaturen stark schwächen und das Tor für große Bewegungen von unten öffnen, die für die Kontrolle der Reichtümer der Region durch ihre Bewohner einstehen.
Das stört nicht nur die amerikanische Regierung. Auch Schröder und Fischer haben trotz Sonntagsreden über Menschenrechte in erster Linie Interesse an "Stabilität" im Nahen Osten – das heißt die Fortschreibung der herrschenden unterdrückerischer Verhältnisse. Zahlreiche arabische Staaten sind Handelspartner der deutschen Industrie, dazu ist eine Kontrolle über den Ölflusses durch den Westen auch deutsche Staatsräson.
Aus diesem Grund unterstützt Schröder faktisch die Besatzung. Durch Nutzungsrechte für amerikanische Airbases in Deutschland, die den Nachschub für die Besatzung bringen. Durch das Angebot irakische Polizisten und Soldaten auszubilden, die die von den USA eingesetzte Marionettenregierung schützen sollen. Und durch die Entlastung der US-Regierung, in Afghanistan, wo Schröder zu Bushs Statthalter aufgerückt ist.
Trotzdem – die Brüder bleiben verfeindet. Die deutschen Herrschenden haben zwar kein Interesse an einer Niederlage der USA im Irak Gleichzeitig wollen sie unter keinen Umständen zulassen, dass sich die USA als dominierende Macht im Irak festsetzen.
Vor allem wollen die deutschen und französischen Wirtschaftsverbände nicht zulassen, dass die Privatisierung aller großen Staatsbetriebe, die unter der Leitung der US-Besatzung in den kommenden Wochen durchgeführt wird, ohne sie stattfindet.
Darüber hinaus würde eine uneingeschränkte US-Kontrolle über die großen irakischen Öl- und Gasvorkommen die europäischen Länder, die nicht über große eigene Energievorräte verfügen, in starke amerikanische Abhängigkeit bringen.
Hinter dem Feilschen um Formulierungen einer UN-Resolution und Auseinandersetzungen über die Frist bis zur Durchführung von Parlamentswahlen im Irak findet der Kampf um Macht und Einfluss der Großmächte statt, wobei alle an einer hemmungslosen kolonialen Ausbeutung des geschundenen Landes interessiert sind.
Das Fingerhakeln über den Irak unter Ausschluss seiner Bewohner ist ein Vorgeschmack auf eine neue Epoche des Imperialismus: Die Wiederkehr der nackten Großmachtkonkurrenz.
Noch etwas sagte Marx zu den verfeindeten Brüder: Wir müssen sie alle zum Teufel jagen, bevor sie die Welt in Schutt und Asche legen.

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