Peru: Streiks erschüttern die Regierung

Die peruanische Regierung hat drei Viertel der Armee mobilisiert um gegen streikende Arbeiter und Studenten vorzugehen.

Standpunkt: Entzauberte Hoffnungsträger

Der peruanische Präsident Toledo war vor zwei Jahren durch eine Welle von sozialen Protesten ins Amt gespült worden. Jetzt setzt er die Armee gegen seine eigenen Anhänger ein.
Die peruanische Krise zeigt, dass linke Regierungen keine Garantie für soziale Verbesserungen sind.
Der lateinamerikanische Kontinent ist seit drei Jahrzehnten als Testlaboratorium für die Wirtschaftsdoktrin missbraucht worden, die heute als "Neoliberalismus" bekannt ist. Industrien wurden privatisiert, Märkte liberalisiert, Löhne massiv gesenkt.
Das Ergebnis ist extreme Ungleichheit. Zwischen 1970 und 1990 stieg die Zahl der unterhalb des Existenzminimums lebenden Menschen in Lateinamerika von 54 auf 93 Millionen.
Ende der 90’er entlud sich die Wut über die soziale Krise in großen sozialen Bewegungen mit Massendemonstrationen und Generalstreiks. Dikaturen wie in Peru stürzten, Präsidenten wurden aus dem Amt gepresst, wie in Argentinien, oder abgewählt, wie in Brasilien. Dort trat der ehemalige Gewerkschaftsführer Luis Ignazio da Silva, genannt "Lula", Anfang des Jahres das Präsidentenamt an.
Doch nirgends hat die regierende Linke wirkliche Verbesserungen erreicht. Lula versicherte dem Internationalen Währungsfond die Weiterführung einer rigiden Sparpolitik. Der angekündigte "Kampf gegen den Hunger" bleibt auf der Strecke.
Jetzt hat die brasilianische Landlosenbewegung MST, die Lula in der Wahl unterstützt hatte, angekündigt, ihre Mobilisierungen wieder aufzunehmen – gegen die Regierung Lula.

Seit dem 28. Mai herrscht in Peru der Ausnahmezustand. Demonstrationen sind verboten, Armee und Polizei patrouillieren in den Straßen. Soldaten erschossen einen 23-jährigen Studenten bei der Räumung einer besetzen Universität in der südperuanischen Stadt Puna. Über 70 Menschen wurden verletzt.
Präsident Alejando Toledo sagt, der Ausnahmezustand sei notwendig, "um Investitionen, Wachstum und Beschäftigung zu sichern".
Tatsächlich will Toledo mit dem Armeeeinsatz eine Protestwelle zerschlagen, die immer breitere Teile der Bevölkerung erfasst.
Begonnen hatten die Proteste mit einem landesweiten Lehrerstreik am 12. Mai. Der durchschnittliche Lohn von Lehrern liegt bei umgerechnet 160 Euro im Monat. Die Lehrer forderten eine Erhöhung um 60 Euro.
Der Streik der 300.000 Lehrer erhielt massiven Zulauf, nachdem die Regierung die Forderungen ablehnte. Landarbeiter schlossen sich an und protestierten gegen die Privatisierung der Wasserversorgung. Angestellte im Gesundheitswesen forderten höhere Löhne.
Die Regierung Toledo war vor zwei Jahren nach dem Sturz des Diktators Alberto Fujimori an die Macht gekommen. Damals genoss sie die breite Unterstützung linker Parteien und der sozialen Bewegung. Toledo ist der erste Präsident indianischer Abstammung in Lateinamerika.
Doch Toledo hielt seine Versprechen, die Lebensbedingungen zu verbessern, nicht. Stattdessen führte er auf Druck der USA und des Internationalen Währungsfonds die neoliberale Politik seines Vorgängers weiter.
Peru hatte 2002 das höchste Wirtschaftswachstum und gleichzeitig das niedrigste Lohnniveau Lateinamerikas. Nur zehn Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung haben noch einen festen Job. Die verarbeitende Industrie ist nach 12 Jahren radikaler Liberalisierung durch die Konkurrenz aus den großen Industriestaaten zerstört worden.
Die Landwirtschaft ist ebenfalls am Ende. Der ehemalige Zuckerexporteur Peru importiert heute 50 Prozent des Eigenverbrauchs.
Und selbst die vorbildliche Wachstumsrate von 5,2 Prozent ist ein Zeichen wirtschaftlicher Schwäche: Wenn nur eine große Mine neu in Betrieb geht, erzeugt allein das ein Wachstum von über einem Prozent.

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