Afrika – ein Kontinent im Widerstand

Im Januar trafen sich mehr als 30.000 Menschen aus aller Welt in Kenias Hauptstadt Nairobi zum Weltsozialforum (WSF), um Strategien im Kampf für soziale Gerechtigkeit zu diskutieren. Frank Renken berichtet vom ersten WSF in Afrika.

In den deutschen Medien kommt Afrika nur als leidender Kontinent vor. Hilfsorganisationen appellieren mit Fotos von ausgemergelten afrikanischen Kindern oder Kriegsopfern an unser Gewissen: Wenn du helfen willst, dann spende!

Auch ich mache mich mit solchen Bildern im Kopf auf den Weg nach Kenia zum Weltsozialforum (WSF). Es ist das erste Mal, dass ich meinen Fuß auf afrikanischen Boden setze. Was werde ich vorfinden?

Die Stimmung, die mir beim Betreten des Veranstaltungsortes entgegenschlägt, ist so ganz anders als jene der Plakatwelt in Europa. Sie strotzt vor Optimismus und Lebensfreude. Unübersehbar tragen Einzelpersonen und Gruppen ihre politischen Parolen herum, diskutieren und organisieren. Rund um ein modernes Sportstadion reihen sich Tische und Zelte dicht an dicht. Immer wieder stoße ich auf kleine Demonstrationen, die lautstark Parolen gegen die Welthandelsorganisation WTO, gegen Bush und seinen Krieg oder für das Recht auf Bildung skandieren. Für die Aktivisten hier empfinde ich Solidarität und Achtung, nicht Mitleid. Das WSF in Kenia ist ein Festival der Unterdrückten.

Die Teilnehmer kommen aus der ganzen Welt, Schwarze stellen eindeutig die Mehrheit. Ständig treffe ich auf Aktivisten, die in Afrika Widerstand aufbauen. So zum Beispiel Gaontebale Mokgosi und Motsomi Marobela aus Botswana. Ihre Probleme unterscheiden sich kaum von unseren in Europa. Sie erklären mir, warum sie gegen den so genannten Trade Dispute Act mobilisieren. „Dieses Gesetz soll den Unternehmern das Recht geben, Arbeiter jederzeit zu kündigen“, erklärt Gaontebale. „Dagegen müssen wir die Gewerkschaften mit an Bord kriegen.“

Wieso sie denn noch nicht dabei sind, will ich wissen. Motsomi verweist auf sein T-Shirt, das ein Motiv aus einem der vergangenen Kämpfe trägt. „Im Jahr 2000 wurden in einer botswanischen Mine 461 Bergleute entlassen. Am Anfang hat die Gewerkschaft sehr gut dagegen gekämpft. 2.000 Arbeiter streikten in Solidarität mit den Entlassenen.
Doch dann hat sich die Gewerkschaftsführung darauf verlassen, auf rechtlichem Wege die Wiedereinstellung zu erzwingen. Nach zwei Wochen haben sie den Streik abgeblasen. Das ging nach hinten los. Wir hoffen, dass die Gewerkschaftsführung diesen Fehler in der jetzigen Mobilisierung gegen das neue Hire-and-fire-Gesetz nicht wiederholt und voll mitzieht.“

Das WSF hat zahlreiche Gewerkschafter angezogen, einfache Aktivisten ebenso wie Funktionäre. Das Zelt des internationalen Gewerkschaftsdachverbandes ITUC ist mit 350 Leuten gerammelt voll, und die Stimmung ist vom Geist internationaler Solidarität erfüllt. Über drei Tage debattieren wir unter anderem den Start einer internationalen Kampagne für bessere Arbeitsbedingungen in Kleinunternehmen, die die Arbeitsgesetze umgehen.

Ich sitze neben Kosai Gwisai aus Simbabwe und frage ihn, ob es überhaupt eine nennenswerte Arbeiterklasse in Afrika gibt. Das bejaht er mit Nachdruck: „Na klar! Die Arbeiterklasse ist klein. Aber sie nimmt eine strategische Rolle ein. Auch hier müssen Bergwerke und Flugzeuge funktionieren, damit die Herrschenden weiter herrschen können. Ohne Strom läuft auch hier nichts. Und hast du schon einmal ein E-Werk ohne Arbeiter gesehen?“

Am Rande unterhalte ich mich mit Jacob Owolo vom kenianischen Gewerkschaftsdachverband COTU. Er erklärt mir, wie internationale Konzerne die Arbeiter in den so genannten Exportproduktionszonen (EPZ) behandeln. „In Kenia gibt es fünf EPZ. In den meisten werden Textilien oder Schnittblumen für den Export produziert.
Als die Arbeiter der sri-lankischen Textilfirma MRC am 1. Januar aus dem Weihnachtsurlaub wiederkamen, fanden sie an der verschlossenen Tür einen Zettel vor: ‚Der Urlaub wird bis zum 15. Januar verlängert.’ Die Firmenleitung nutzte die zwei Wochen, um die Fabrik platt zu machen. Sie ließ ein Viertel der Maschinen abtransportieren. Auf ihr Gehalt für Dezember warten die Arbeiterinnen bis heute vergeblich.“

Jacob berichtet aber auch von erfolgreichem Widerstand. „An den Universitäten war die Bildungsgewerkschaft UASU bis 2004 verboten. Letztes Jahr hat sie einen neuen Tarifvertrag ausgehandelt, an den sich das Management allerdings nicht gehalten hat. Da riefen wir den Streik aus. Die Studenten solidarisierten sich mit den Dozenten und Angestellten. Nach einem Monat wurde der Druck immer größer. Die Eltern fragten: Warum zahlen wir Studiengebühren, wenn unsere Kinder zu Hause bleiben müssen? Die Uni-Leitung feuerte 19 Dozenten, die anderen erhielten Abmahnungen.
Doch die UASU ließ sich nicht einschüchtern und trat dem Dachverband COTU bei, um die Aktionen auszuweiten. Aus Angst vor einem Flächenbrand ruderte das Management zurück, akzeptierte den neuen Tarifvertrag und nahm die Aussperrungen zurück.“

An einem Nachmittag mache ich die Tour an den zahlreichen Ständen vorbei. An einem Zelt prangt ein großes Plakat: „Westsahara – die letzte Kolonie Afrikas!“ Boybat Cheikh leitet dort die Kampagne zur Ächtung von Landminen. Er zeigt mir die Fotos von Amputierten, die Opfer dieser Minen wurden, und erklärt: „Nachdem die spanische Kolonialmacht 1975 aus der Westsahara abgezogen war, marschierte die marokkanische Armee ein. 16 Jahre lang haben wir uns in einem nationalen Befreiungskrieg gewehrt.
Dann ließ sich die Polisario auf einen von der UNO vermittelten Kompromiss ein, der eine Volksabstimmung über die Unabhängigkeit vorsah. Wir legten die Waffen nieder, doch die marokkanischen Besatzer blieben. Und die UNO sieht tatenlos zu.“ Verbittert zeigt er mir die Opfer der marokkanischen Besatzung: Menschen, die von schweren Misshandlungen in den Gefängnissen der Polizei gezeichnet sind.

Am Stand der „Frauen im Kampf gegen Aids in Kenia“ spreche ich mit Loreen Rocho. „In Kenia tragen 7 Prozent den Virus in sich, und es werden immer mehr. Ein Grund ist die Prostitution, zum Beispiel in den Touristenzentren an der Küste. Dort hat sich jedes dritte Mädchen zwischen 12 und 18 schon einmal prostituiert. Aber viele Freier weigern sich, ein Kondom zu benutzen.“ Ich frage sie, woher die Freier kommen. „Viele aus Italien und Deutschland. Doch die meisten sind Kenianer.“

Am Rande einer Diskussionsveranstaltung über die Strategie des Massenwiderstandes treffe ich Siphiwe Chabikwa. Sie kommt aus Simbabwe und trägt seit 20 Jahren das HI-Virus in sich. Ihr Optimismus ist beeindruckend: „Ich lebe nun so lange mit dem Virus, aber mein Kampf geht weiter“, sagt sie lächelnd. Dass Siphiwe überhaupt noch lebt, verdankt sie einer breiten Bewegung, die den Zugang zu günstigen Medikamenten erkämpft hat.

39 der weltweit größten Pharmakonzerne hatten 1998 Südafrika vor der WTO verklagt. Sie verlangten die Rücknahme eines Gesetzes, das die Herstellung billiger Medikamente erlaubt, mit denen sich der Ausbruch der Krankheit verzögern lässt. Unter dem Druck der Bewegung ließen die Firmen im Jahr 2000 die Klage fallen.

Dieser Erfolg hat es auch in den Nachbarländern Südafrikas Menschen wie Siphiwe ermöglicht zu überleben. Ihren Optimismus bezieht sie aus der politischen Arbeit: „In Simbabwe gibt es eine sich radikalisierende antikapitalistische Bewegung. Ich nehme mit meinen Freunden zum ersten Mal an einem WSF teil. Es ist einfach inspirierend. Eben komme ich von einer gemeinsamen Demonstration mit Aktivisten aus Swasiland. Das WSF hilft uns, Solidarität über die Grenzen hinweg aufzubauen.“

Bei der Veranstaltung spricht ihre Genossin Taradzwa Choto. Ihr Kampfgeist steckt auch Anthony Nyorord aus Nairobi an. Auf der Versammlung erklärt er: „Wenn ich draußen herumlaufe, dann bin ich allein. Seit einem Tag bin ich hier, und ich habe das erste Mal das Gefühl, wirklich so etwas wie eine Familie zu haben.“ Wie viele andere trägt sich Anthony in eine Liste ein, um mit den neu gefundenen Kampfgefährten in Kontakt zu bleiben.
Das WSF ist eine einzigartige Quelle der Inspiration.

Wenn man ein kritisches Wort verlieren muss, dann betrifft es das auffällige Fehlen des Themas Krieg bei den großen Veranstaltungen. Florence Durrent aus Südafrika erklärt mir: „Das WSF wurde vor allem von Nichtregierungsorganisationen (NRO) organisiert. Da ihre Projekte meist von staatlichen Geldern abhängen, sind der weltweite Widerstand gegen die Kriege in Irak und Afghanistan und selbst die US-Angriffe auf Somalia für viele NRO fast tabu.
Aber Armut und Krieg sind nicht voneinander zu trennen. Schau dir nur Afrika an: Unsere Herrscher umgeben sich mit Horden von Bewaffneten, um ihren Reichtum zu schützen. Die Polizei wird eingesetzt, wenn Leute gegen die Auswirkungen von Privatisierungen revoltieren. Manchmal reicht das nicht. Dann lassen sie das Militär auffahren.“

Florence ist überzeugt, dass die US-Regierung das Saddam-Regime beseitigt hat und den Irak besetzt hält, weil sie das irakische Öl kontrollieren will: „Die einfachen Iraker bekommen vom Reichtum des Landes genauso wenig ab wie früher. Ist doch logisch, dass sie die US-Besatzer rausschmeißen wollen.
Nun ist der Widerstand da, im Irak, aber auch international. Die US-Strategen können die Widerstandskämpfer noch so oft als Terroristen bezeichnen. Ich sage dir: Die wahren Terroristen heißen Bush und Blair. Und sie werden ihren verfluchten Krieg verlieren!“

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