EU schürt Bürgerkrieg

Die Palästinenser leiden unter der israelischen Besatzung. Seit EU und USA die Hilfsgelder für Palästina eingefroren haben, fürchten sie zudem einen Bürgerkrieg.


Bewaffnete palästinensische Sicherheitskräfte und Mitglieder der früheren Regierungspartei Fatah kämpfen in Gaza Stadt gegen die Hamas-Regierung

Linksruck sprach mit der Politikwissenschaftlerin Lisa Hansen. Sie hat bis Ende Mai zehn Monate im Westjordanland gelebt.

Anhänger der Fatah-Partei, die vor drei Monaten die Parlamentswahlen verloren hat, haben das palästinensische Parlament gestürmt. Warum?

Die Hamas-Regierung kann die Gehälter der über 150.000 Staatsangestellten seit über drei Monaten nicht zahlen, weil seit den Wahlen kein Geld mehr von der EU und den USA bekommt. Die israelische Regierung weigert sich, die Steuern der in Israel arbeitenden Palästinenser zu überweisen. Die palästinensischen Banken zahlen der Regierung die Hilfsgelder aus den arabischen Staaten und Russland nicht aus, weil sie Repressionen der USA fürchten. Viele haben ihre Reserven schon lange aufgebraucht und sind aufgebracht über den Zahlungsstopp. Doch anders als Lehrer und Krankenpfleger haben die Mitglieder der verschiedenen Sicherheitsdienste, die meist zur Fatah gehören, die Waffen, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen.

Welche Auswirkungen hat das Embargo auf das Leben der Palästinenser?

Die palästinensische Wirtschaft ist durch die israelische Besatzung ohnehin stark eingeschränkt. Etwa ein Viertel der Bevölkerung ist direkt oder indirekt von den Gehältern der Staatsangestellten abhängig. Der Zahlungsstopp führt so zu einem Dominoeffekt. Ladenbesitzer, die ihre Kunden anschreiben lassen, können ihre Waren nicht mehr aufstocken. Lehrer und Krankenhausangestellte arbeiten ohne Gehalt weiter, aber immer mehr Pendler können sich die Fahrt zur Arbeit nicht mehr leisten. Hinzu kommt, dass Israel den Gütertransport in die besetzten Gebiete stark eingeschränkt hat. Im Gazastreifen ist die Situation bereits dramatisch, über 40 Prozent der Kinder leiden an Mangelernährung. In den Krankhäusern gehen Medikamente und Ersatzteile für medizinische Geräte aus. Es sind bereits Dialysepatienten gestorben, weil Filter für Dialysegeräte fehlen.

Kanzlerin Merkel und die übrigen Staatschefs begründen ihre Politik damit, dass Hamas sich weigert, Israel anzuerkennen und dem bewaffneten Widerstand abzuschwören. An Präsident Abbas von Fatah will die EU aber zahlen.

Der Westen übt keinen derartigen Druck auf Israel aus, einen palästinensischen Staat anzuerkennen oder militärische Übergriffe auf die palästinensische Bevölkerung einzustellen. Der kompromissbereiten Fatah hat Israel jahrelang politische Erfolge in den Friedensverhandlungen verweigert: Arafat war angeblich kein „Partner für den Frieden“, weil er die ihm zugedachte Rolle, für israelische Sicherheit zu sorgen, ohne palästinensische Interessen zu vertreten, nicht perfekt genug gespielt hat. Wenn Israel die Friedensverhandlungen ernsthaft geführt hätte, statt mit der verstärkten Landnahme für den Siedlungsausbau immer mehr Fakten zu schaffen, wäre Hamas nie gewählt worden.
Jahrelang wurde die von Fatah geführte palästinensische Regierung zu demokratischen Reformen, zur Entmachtung des Präsidenten und Wahlen gedrängt. Nun passt das Ergebnis Israel und dem Westen nicht, und die palästinensische Bevölkerung wird bestraft, die neue Regierung finanziell und politisch ins Abseits gestellt. Abbas hat mit westlicher Ermutigung bereits ein Schatten-kabinett aufgebaut. Bekannte, die in einem Kulturprojekt arbeiten, haben mir erzählt, dass ein von Abbas ernannter „präsidialer Kulturberater“ zu verstehen gegeben hat, dass er über dem Kulturministerium stehe und von jetzt an Ansprechpartner sei.

Aber Abbas will in einem Volksentscheid doch demokratisch klären lassen, ob die Palästinenser einen unabhängigen Staat Palästina in den Grenzen von 1967 wollen und damit Israel anerkennen.

Unter dem Embargo hat das mit Demokratie nichts zu tun. Das Referendum ist zu einem Instrument im Machtkampf geworden, mit dem Abbas versucht, die gerade erst gewählte Hamas-Regierung zu delegitimieren und das Wahlergebnis zu revidieren.
Das Absurde ist ja, dass Hamas selbst wiederholt die Bereitschaft signalisiert hat, sich auf eine Zweistaatenlösung in den Grenzen von 1967 einzulassen, während bisher alle israelischen Regierungen diese Grenzen abgelehnt haben.
Selbst wenn die Palästinenser, die mit Oslo Israel bereits anerkannt haben, ihren Willen dazu ein weiteres Mal in einem Referendum bekunden, wird das nicht zu der nötigen politischen Unterstützung aus dem Westen führen. Israel ignoriert seit 1967 jede UN-Resolution und keine UN-Versammlung hat Israel je zum Rückzug hinter die Grenzen von 1967 gezwungen.
Es gab noch kein Embargo gegen Israel, aber jetzt gegen die besetzten Gebiete, obwohl Hamas sich seit über einem Jahr an einen einseitigen Waffenstillstand gehalten hat – im Gegensatz zu Israel. Jeder Palästinenser erfährt täglich, dass das Hinnehmen von israelischer Landnahme für Siedlungsausbau, Mauern und Apartheidstraßen nicht zu einem sicheren Status Quo, sondern zu weiteren Landnahmen führt. Warum sollten sie sich also mit einer Kompromiss- statt einer Radikalforderung abfinden? Zumal das israelische Kabinett bereits erklärt hat, dass ein Referendum „völlig bedeutungslos“ sei.
Der Nahe Osten ist von einer friedlichen und gerechten Lösung weiter entfernt als je. Gleichzeitig fürchten viele Palästinenser, dass der Machtkampf zwischen Fatah und Hamas in einen Bürgerkrieg ausarten könnte.

Was können wir in Deutschland tun, um die Palästinenser zu unterstützen?

Den Druck auf die Regierung erhöhen und über ihre Doppelmoral aufklären, da eine wirkliche Veränderung in Israel/Palästina nur mit dem nötigem Druck aus dem Westen zustande kommen wird. Gleichzeitig müssen progressive Kräfte in Israel und den besetzten palästinensischen Gebieten auf Graswurzelebene gestärkt werden. Der gefährlichen, sich auf allen Seiten immer mehr durchsetzenden Vorstellung, es handele sich um einen „Kampf der Kulturen“ und einen ewigen religiösen Konflikt, müssen wir gemeinsam mit Palästinensern und Israelis entgegenarbeiten.
Dazu gehört direkte Solidarität vor Ort, wo die Teilnahme von Israelis und Menschen aus aller Welt den gewaltfreien Widerstand von Palästinensern, etwa gegen die Mauer, stärkt und vor Repressionen durch die Armee schützt.

Das Gespräch führte Irmgard Wurdack

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