„Wir brauchen Unterstützung“

Die EU-Regierungen haben nach der Wahl der Hamas die Finanzhilfen für Palästina eingefroren. Linksruck sprach mit Osama Hamdan, Vertreter der Hamas im Libanon.


Ein palästinensischer Junge spielt neben seinem „Haus“ in einem Armenviertel im Gaza-Streifen. Krankheiten, Hunger und Arbeitslosigkeit nehmen dramatisch zu. Die Regierungen der USA und der EU haben die Hilfslieferungen für die Palästinenser eingestellt. Die israelische Regierung weigert sich, Steuergelder von Palästinensern, die in Israel arbeiten, an die palästinensische Regierung zu überweisen.

Die USA und die Europäische Union sind unzufrieden mit dem Wahlsieg der Hamas in Palästina. Welche Folgen hat die Einstellung der finanziellen Unterstützung für die neu gewählte palästinensische Regierung?

Natürlich sind wir mit der Position der europäischen Regierungen unzufrieden. Sie respektieren nicht die demokratische Entscheidung und Wahl der palästinensischen Bevölkerung. Von internationalen unabhängigen Beobachtern wurde bestätigt, dass wir im Januar eine freie und demokratische Wahl hatten. Wenn die Regierungen im Westen nun ihre finanzielle Unterstützung streichen, dann ist das eine kollektive Bestrafung der palästinensischen Bevölkerung. Unter Demokratie verstehen wir, dass die Völker frei wählen dürfen, wer sie repräsentiert. Ich hoffe, dass die europäischen Regierungen ihre Position noch einmal überdenken und die demokratische Wahl in Palästina akzeptieren. Ich hoffe, dass sie mit der gewählten Regierung zusammenarbeiten.

Nach dem Wahlsieg der islamischen Hamas wurden Sorgen laut, die neue Regierung könne eine Bedrohung für Juden darstellen …

Wir haben kein Problem mit Juden als Juden. Wir sind der Überzeugung, dass jeder Mensch das Recht hat, seinen Glauben und seine Religion frei zu wählen. Wir haben ein Problem mit der Besatzung. Wir wollen, dass die Besatzung aufhört. Wenn Muslime uns besetzten, würden wir das auch nicht akzeptieren. Ich möchte ausdrücklich betonen und hoffe, dass mich alle verstehen: Es geht nicht um Religion, sondern um die Besatzung des palästinensischen Volkes. Wenn wir vom Kampf um das Ende der Besatzung sprechen, dann bedeutet es nicht, dass wir die Juden angreifen. Wir greifen die Besatzer an.
Als Juden während des Mittelalters in Europa verfolgt wurden, haben sehr viele in der arabischen Welt Zuflucht gefunden. Sie konnten hier gut leben und wurden respektiert. Sie wurden Teil der Völker der Region. Und keiner hat sie schlecht behandelt oder misshandelt.

In Deutschland haben viele Angst, dass sich die Spirale der Gewalt im Nahen Osten nun weiterdreht.

Für die Gewalt in der Region ist eindeutig Israel verantwortlich. Lassen Sie es mich am Beispiel verdeutlichen, was in Palästina in den vergangenen vier Jahren passiert ist: Israel hat mehr als 4500 Palästinenser getötet und dabei alle möglichen Waffen eingesetzt. Als Antwort darauf haben die Palästinenser die israelische Armee und auch die Siedler bekämpft – weniger als 1000 Menschen starben dabei.
Im vergangenen Jahr haben wir einen Waffenstillstand verkündet. Obwohl die Palästinenser Gewaltmaßnahmen einstellten, ging Israel weiter gegen die Bevölkerung vor. Allein im Jahr 2005 hat die israelische Armee 186 Palästinenser getötet. 21 von ihnen waren Kinder. Einige Kinder wurden getötet, als sie in der Schule saßen. 30 palästinensische Frauen wurden getötet: Eine, während sie ihr Kind stillte. Eine andere, als sie das Essen für die Familie zubereitete.
Der Ursprung der Gewalt im Nahen Osten sind die Besatzung und die Politik, die diese unterstützt. Deshalb müssen wir uns darauf konzentrieren, dass die Besatzung endet.

Wie kann von Deutschland aus die palästinensische Bewegung gegen die Besatzung unterstützt werden?

Das Leid der Palästinenser ist direkt mit der Politik vieler europäischer Regierungen verbunden. Ich wünsche mir von den Menschen in Europa, dass sie gegen die Politik, die das palästinensische Volk unterdrückt, opponieren.
Wir haben gemeinsame Interessen mit den europäischen Völkern. Gemeinsam können wir eine friedliche Zukunft, eine neue Form der Kultur und Zivilisation aufbauen. Voraussetzung dafür ist aber, von der Besatzung loszukommen. Die Palästinenser brauchen hierbei Unterstützung: politische, aber auch finanzielle. Es ist daher wichtig, Druck auf die Regierungen in der EU auszuüben, damit die Finanzhilfen fortgeführt werden.

Blicken wir über Palästina hinaus: Gegenwärtig wird viel über einen US-Angriff auf Iran spekuliert. Wie bewerten Sie die Drohungen gegen Teheran?

Ein US-Angriff auf Iran wird schlimme Folgen für die Region haben. Nicht zuletzt besteht die Gefahr, dass die US-Regierung taktische Nuklearwaffen zum Einsatz bringt. Falls es wirklich so weit kommen sollte, könnte dies zu einem großen Krieg führen, der ungeahnte Zerstörung und Verelendung für die Menschen bedeutet.
Außerdem wird eine solche Eskalation die Weltwirtschaft nachhaltig beeinflussen. Die Region ist der Hauptlieferant für Energie. Natürlich wird der Krieg Folgen für den globalen Energiemarkt haben. Viele Volkswirtschaften werden das so nicht überleben können. Das heißt, in der gesamten Welt droht Chaos.
Die Amerikaner müssen die klare Nachricht bekommen, dass die Weltpolitik nicht nur aus der Sicht der US-amerikanischen Konzerninteressen gestaltet werden kann. Die Interessen der Welt sind nicht zwangsläufig die der US-Regierung.

Wie bewerten Sie die lateinamerikanische Bewegung gegen die neoliberale US-Vorherrschaft?

In der arabischen Welt gibt es sehr viel Unterstützung für Hugo Chávez, Venezuela und den zunehmenden Widerstand in Lateinamerika. Wir sehen hier exemplarisch, wie die US-amerikanische Hegemonie besiegt und Alternativen angeboten werden können.
Ich halte Chávez für einen sehr mutigen Mann, der für die Interessen seines Volkes und seiner Nation arbeitet. Ich hoffe, dass wir in Zukunft ähnliche Beispiele in unserer Region oder woanders auf der Welt finden werden.

Das Gespräch führten Regina Sternal und Phil Butland bei der Kairo-Konferenz. Weitere Berichte und Infos bei philbutland@yahoo.com und r.sternal@gmx.de.

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