Gegen das neoliberale Projekt

Die Franzosen kämpfen für den Kündigungsschutz. Doch sie können die gesamte unsoziale Politik entscheidend zurückdrängen.


Schüler, Studierende und Gewerkschafter protestieren gemeinsam gegen den CPE („Vertrag zur Ersteinstellung“). Das Gesetz streicht den Kündigungsschutz für Neueingestellte

Die Macht liegt auf der Straße

Die linken Parteien in Frankreich können zusammen mit Gewerkschaften, Studierenden- und Schülerorganisationen den CPE verhindern, die rechte Regierung stürzen und weitere neoliberale Reformen erschweren. Diese Chance haben die Linken nicht obwohl, sondern weil sie in der Opposition sind. Denn nur in der Opposition können Linke Widerstand gegen unsoziale Politik auf die Beine stellen, statt selbst unsoziale Politik machen zu müssen.
Dasselbe gilt für WASG und Linkspartei in Deutschland, obwohl hier noch keine Massenbewegung auf der Straße ist. Denn die Basis dafür ist bereits vorhanden.
Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft, jammert über Franzosen und Deutsche: „Frankreich probt den Aufstand gegen die Globalisierung. Wer immer dachte, dies sei ein Alleinstellungsmerkmal unserer Gesellschaft, der wird eines Bessere belehrt. Offenkundig dringen wir zu breiten gesellschaftlichen Schichten nicht mehr durch.“
In Frankreich ist die Chance, Sozialabbau zu verhindern, heute größer als unter der rot-rot-grünen Regierung bis 2002. Denn damals mobilisierten weder PS noch PCF noch Grüne gegen die Regierung, weil sie selbst die Regierung waren.
Viele Menschen waren von der PCF enttäuscht, weil ihre Regierung den Sozialabbau der Rechten fortsetzte. Deshalb erlitten die Kommunisten bei den Wahlen 2002 eine schwere Niederlage. Daraus folgerten die meisten Mitglieder zu Recht, dass eine Beteiligung an einer Regierung weder dem Kampf gegen Sozialabbau noch der Partei nützt.
Die Aufgabe der Linken ist vielmehr, die Ablehnung des Neoliberalismus in Widerstand auf der Straße umzusetzen, in Frankreich wie in Deutschland.

Die jungen Franzosen rebellieren. Von den armen Vorstädten bis zu den Eliteuniversitäten gehen junge Menschen auf die Straße, besetzen Universitäten und Schulen, um ein Arbeitsgesetz zu verhindern, das ihnen ihre Rechte nehmen soll. Durch die Massendemonstrationen im ganzen Land und tägliche Zusammenstöße mit der brutalen Bereitschaftspolizei CRS hat die Bewegung den Staat herausgefordert.

Erneut bremsen die Menschen die Kürzungspolitik einer rechten Regierung. Seit Jahren leisten die Franzosen Widerstand gegen Neoliberalismus mit Erfolgen, aber auch Rückschlägen.

„Unsere Bewegung besitzt den Geist von 1968“, meint die Studentin Oriana Garcia. Ihre Hochschule Censier in Paris ist eine der 67 von 84 Universitäten, die die Studierenden bestreiken.

„Wenn sich der Aufstand damals gegen Unterdrückung richtete, dann ist unsere eine Revolte gegen den Neoliberalismus und eine Regierung, welche die Arbeitsbedingungen junger Menschen ins 19. Jahrhundert zurückdrängen möchte. Unsere Bewegung wächst auf eine wichtige Weise. Wir haben die Unterstützung von Millionen von Arbeitern im ganzen Land.
Die Studenten konnten die Führung übernehmen, weil wir in einer guten Position sind, um die Regierung anzugreifen. Aber die Revolte zieht auch Arbeiter, Arme und Arbeitslose an.“

Die Menschen wehren sich gegen die Einführung des „Vertrag zur Ersteinstellung“ (CPE). Das Gesetz ermöglicht Unternehmern, Neueingestellte unter 26 zwei Jahre lang ohne Ankündigung oder Begründung zu entlassen.

Der CPE wurde vom rechten Premierminister Villepin entworfen. Er behauptet, das Gesetz ermutige Unternehmer, junge arabisch- und afrikanischstämmige Arbeitslose aus den armen Vorstädten einzustellen.

Im November entluden die Jugendlichen in den Vorstädten ihren Frust über Rassismus, Arbeitslosigkeit und die gewalttätige Polizei wochenlang in Aufständen. Die meisten glauben nicht, dass ihnen das Gesetz nützt.

Marie Périn, eine Sprecherin des Mobilisierungskomitees von Censier, sagt, das neue Gesetz habe jedoch viele Studierende dazu gebracht, sich mit den Problemen in den Vorstädten zu beschäftigen. „Wir haben Veranstaltungen und Debatten über Neoliberalismus, die Aufstände im November und Rassismus organisiert. Diese Veranstaltungen haben geholfen, Studierende und viele Arbeiter davon zu überzeugen, unsere Kampagne in die Vorstädte zu tragen.
Der einfachste Weg war es, Verbindungen zu den Schülern zu knüpfen. Aber wir sind auch in die armen Viertel gegangen und haben uns direkt an die Jugendlichen gewendet.
Wenn die Studierenden die Arbeiter ebenso erreichen, wie wir die Vorstädte erreicht haben, dann können wir nicht nur dieses Gesetz besiegen, sondern das ganze neoliberale Projekt in Europa. Es steht viel auf dem Spiel.“

Das wissen auch die Herrschenden. Ein französischer Wirtschaftsvertreter sagte nach einem Treffen mit Villepin: „Wenn das Gesetz zurückgezogen wird, können wir uns für die nächsten zehn Jahre von Reformen verabschieden, das wäre ein fürchterliches Signal.“

Die Wirtschaft sieht den CPE nur als ersten Schritt. Der französische Unternehmerverband Medef fordert, das Gesetz auf alle Arbeiter auszuweiten.

Regierung und Wirtschaft wollen die sozialen Standards schneller abbauen als bisher, damit die französische Wirtschaft international stärker wird. Schon 2000 haben die EU-Regierungen in Lissabon beschlossen, dass sie die EU bis 2010 zum stärksten Wirtschaftsraum der Welt machen wollen.

Dieses Ziel können die EU-Regierungen nur mit massivem Sozialabbau erreichen. Denn die USA und China haben vor allem deshalb einen wirtschaftlichen Vorteil, weil sie den Menschen deutlich geringere Löhne zahlen und sie zu deutlich längeren Arbeitszeiten zwingen.

Doch die rechte französische Regierung konnte den Lebensstandard der Menschen bisher nicht radikal senken, weil die Franzosen sich immer wieder wehren. Schon 1995 protestierten Millionen Menschen mit Demos und einem wochenlangen Streik im öffentlichen Dienst gegen den Kürzungsplan des rechten Premierministers Juppé. Die Bewegung war so stark, dass die Regierung fast handlungsunfähig wurde.

1997 wählten die Franzosen eine Regierung unter Lionel Jospin von der sozialdemokratischen PS, der eine Regierung mit Kommunisten und Grünen bildete, in das viele Menschen Hoffnungen setzten. Deshalb gab es weniger Proteste gegen die Regierung. 1997 gab es so wenig Streiktage im öffentlichen Dienst wie nie zuvor.

Doch der Hass auf den Neoliberalismus blieb. Das Buch „Der Terror der Ökonomie“ von Viviane Forrester, das sich gegen den Kapitalismus richtet, wurde 1997 in wenigen Wochen mit über 300.000 verkauften Exemplaren zum Bestseller.

Doch auch die Regierung Jospin versuchte, mit Sozialabbau die Arbeit billiger zu machen. Sie enttäuschte damit die Menschen und verlor die Wahlen 2002 mit großem Abstand.

Der nächste rechte Premierminister Raffarin wollte den Sozialabbau weiterführen. 2003 schaffte er den Pfingstmontag als Feiertag ab, um die jährliche Arbeitszeit der Menschen zu verlängern. Die Gewerkschaften bekämpften Raffarin mit Streiks und Demonstrationen, aber er setzte sich zunächst durch.

Zwei Jahre später trat er zurück, nachdem die Mehrheit in einer Volksabstimmung die neoliberale EU-Verfassung abgelehnt hatte, die weiteren Sozialabbau bedeutet hätte. Zwei Wochen vor der Abstimmung sollte zum ersten Mal am Pfingstmontag gearbeitet werden, aber 1 Million Angestellte bestreikten den neuen Arbeitstag.

Besonders die Kampagne gegen die EU-Verfassung hat viele Menschen in ihrer Ablehnung des Neoliberalismus bestärkt. Das Rückgrat der Kampagne waren hunderte Komitees, in denen verschiedene linke Parteien und Organisationen zusammen daran arbeiteten, Menschen aufzuklären und für Protestaktionen zu gewinnen.

Die Kampagne war so erfolgreich, dass viele Menschen vor der Abstimmung die Verfassung lasen und darüber sprachen. Die Kampagne war so stark, dass viele Mitglieder der PS daran teilnahmen, obwohl ihr Vorsitzender Hollande für die Verfassung warb. Nach der Abstimmung schloss die PS Gegner der Verfassung aus der Parteiführung aus.

Der heutige Präsident Chirac sagte schon nach der Wahl 1997, die er deutlich verlor: „Frankreich ist unregierbar. Das Land will weder uns noch die von uns vorgeschlagenen Reformen.“ Daran hat sich nichts geändert.

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