Schiiten und Sunniten gemeinsam

Die US-Besatzer finanzieren schiitische Milizen, die Sunniten ermorden. Doch ihre „Teile-und-Herrsche“-Politik könnte scheitern. Von Dahr Jamail und Simon Assaf


Tausende Iraker demonstrieren vor dem Portal der Goldenen Moschee in Samarra gegen den Anschlag vom 22. Februar. Im Hintergrund die Ruine der Kuppel

Am 23. Februar wurden 47 Fabrikarbeiter an einer Straßensperre nördlich von Bagdad angehalten, aus ihrem Bus gezerrt und erschossen. Die Mörder, nahmen die Medien an, seien Sunniten gewesen und die Opfer Schiiten. Am nächsten Tag stellte sich jedoch heraus, dass die Männer Schiiten und Sunniten auf dem Rückweg von einer gemeinsamen Demonstration in Bagdad gegen die Zerstörung der Goldenen Moschee in der nordirakischen Stadt Samarra waren.

Wurden sie von Sunniten umgebracht, oder von den schiitischen Badr-Brigaden, der von den USA unterstützten Miliz, die dem irakischen Innenministerium untersteht? Wir werden die Wahrheit wahrscheinlich nicht erfahren. Klar ist jedoch, dass es Kräfte gibt, die im Einverständnis mit den US-amerikanischen und britischen Besatzern das Land auseinander reißen wollen.

Die Einheit zwischen Sunniten und Schiiten war immer ein Hindernis für die Besatzung. Nachdem die US-Armee 2003 Bagdad eroberte, schlossen sich Sunniten und Schiiten zu einer Revolte gegen die Besatzung zusammen. Dieser Aufstand erreichte seinen Höhepunkt im April 2004.

Damals strömten aus ganz Irak Menschen nach Falludscha. Die Stadt wurde zum Symbol für den Widerstand gegen die Besatzung. Kurz darauf revoltierten Sunniten im Bagdader Stadtteil Sadr-City und in Nadschaf.

Der Aufstand sprang auf die irakische Armee über. Schiitische Soldaten meuterten, als sie den Befehl bekamen, die Aufstände in den sunnitischen Städten niederzuschlagen. Die wachsende Zusammenarbeit zwischen sunnitischen und schiitischen Widerstandskämpfern machte den US-Generälen Angst. Da die Besatzung vor der Niederlage stand, setzten die USA und Großbritannien darauf, religiöse und ethnische Spaltungen zu vertiefen.

Zusammen mit kurdischen Kämpfern oder den Badr-Brigaden stürmten US-Einheiten sunnitische Städte. Die Milizen hinterließen eine blutige Spur der Zerstörung und tiefe Abneigung bei den Menschen.

Die ethnischen Spaltungen waren in Irak früher nicht so stark. Sogar unter der Regierung Husseins lebten in Großstädten wie Bagdad Kurden, Araber, Sunniten und Schiiten in gemischten Stadtteilen. Viele Menschen haben sunnitische und schiitische Verwandte. Der Widerstand gegen Hussein hatte seine Wurzeln in sunnitischen Städten wie Falludscha und Ramadi genauso wie in schiitischen Städten.

Heute treiben die Besatzer und ihre Unterstützer die Spaltungen systematisch voran. Die Menschen in Irak nennen sie „die dunklen Kräfte“.

Die meisten Iraker wissen, dass diese maskierten Schützen, Todesschwadrone, korrupten Politiker und Sondereinsatzkommandos benutzt werden, um sie zu spalten. Dennoch hatten die USA mit der Strategie, Sunniten gegen Schiiten und Araber gegen Kurden aufzuhetzen, teilweise Erfolg.

Im Fernsehen wurde immer wieder berichtet, dass Sunniten aus schiitischen Gebieten fliehen und umgekehrt. Im Norden stritten sich Araber, Kurden und die Minderheit der Turkmenen um die Verteilung von Land und Öl. Sogar aus Bagdad, wo viele gemischte Familien leben, kamen die ersten Berichte von Ehen, die wegen ethnischer und religiöser Unterschiede aufgelöst wurden.

Doch diese „Teile-und-Herrsche“-Politik bringt jetzt auch den Besatzern Schwierigkeiten. Seit den Wahlen im November 2005 kann die US-Regierung sich nicht mehr auf die Unterstützung der Schiiten verlassen: Denn die größten Gewinner waren die schiitischen Gegner der Besatzung. Andere schiitische Parteien im Parlament sind mit der iranischen Regierung verbündet. Einer der ersten Anträge, mit dem sich das Parlament beschäftigen wird, ist ein Aufruf zum Abzug der Besatzungstruppen.

Deshalb boten die US-Besatzer nach den Wahlen auch sunnitischen Gruppen an, sie beim Aufbau einer Miliz zu unterstützen. Eine Folge davon ist die Zerstörung der schiitischen Goldenen Moschee und die anschließenden Kämpfe.

Nach dem Anschlag auf die Moschee, griffen wütende Menschen sunnitische Moscheen an. Einige führende sunnitische Gegner der Besatzung wurden umgebracht und Irak stand kurz vor einem Bürgerkrieg. Diese Gelegenheit nutzten die US-Besatzer, um eine neue Offensive gegen den Widerstand in den sunnitischen Gebieten zu starten.

Doch letzte Woche hat es eine neue Welle der Solidarität zwischen Sunniten und Schiiten gegeben. Zunächst haben Sunniten den Protest gegen die Zerstörung von Moscheen auf die Straßen getragen.

In vielen Teilen Iraks organisierten Sunniten und Schiiten gemeinsame Solidaritätsdemonstrationen. Muslime in Bagdad beteten gemeinsam, nachdem religiöse schiitische Führer zum Frieden aufgerufen hatten.

Der schiitische Geistliche Muktada al-Sadr rief zu gemeinsamen Demos gegen die Besatzung auf. Er warnte seine Anhänger, sich an spalterischen Anschlägen gegen Sunniten zu beteiligen: „Vergesst nicht die Absicht der Besatzung. Wenn wir diese Absicht vergessen, werden wir alle ohne Ausnahme umgebracht werden.“

Im ganzen Nahen Osten zogen zehntausende auf die Straßen, um gegen die Schändung des Heiligtums in Samarra und gegen die US-amerikanischen und britischen Besatzer zu demonstrieren. Diese lassen keine Gelegenheit aus, um Öl ins Feuer zu gießen.

Statt das Land zusammenzuhalten, säen die USA und Großbritannien Hass und Spaltung. Dies kann nur durch ein Ende der Besatzung aufgehalten werden.

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