Gemeinsam sind wir stark

Die Linkspartei enttäuscht im Berliner Senat die Wähler und die WASG. Wie beide Parteien gemeinsam Opposition aufbauen können, erklärt der Ehrenvorsitzende der Linkspartei, Hans Modrow.


Linkspartei (damals PDS) und WASG haben seit Ende 2003 als einzige Parteien die Proteste von Gewerkschaftern, Erwerbslosen, den sozialen und globalisierungskritischen Bewegungen gegen Harzt IV unterstützt

Buchtipp
Edeltraut Felfe, Erwin Kischel, Peter Kroh (Herausgeber): „Warum? Für wen? Wohin?
7 Jahre PDS Mecklenburg-Vorpommern in der Regierung“, GNN Schkeuditz, 2005, 352 Seiten, 15 Euro

Die Linkspartei wollte in der Berliner Landesregierung einen Politikwechsel einleiten. Du schreibst in „Warum? Für wen? Wohin?“, dass dieses Ziel hinterfragen werden sollte. Warum?

Erstens wird eine Regierungsbeteiligung von den Wählerinnen und Wählern ermöglicht. Man sollte eine Koalition nicht als Bündnis verstehen, sondern als Vertrag. Dieser muss Kompromisse, aber eben auch Gemeinsamkeiten beinhalten. Denn wer in einer Legislaturperiode seine Wähler enttäuscht, muss damit rechnen, nicht wieder gewählt zu werden.
Zweitens kann man in einer Landesregierung nicht unabhängig von der Politik der Bundesregierung Politik machen. Genau das führte zu dem großen Widerspruch, der in Berlin sichtbar wurde: Einerseits eine PDS, die klar und deutlich formuliert „Hartz IV ist Armut per Gesetz“ und andererseits ein Senat, an dem die PDS beteiligt ist, und der dann auch noch argumentiert: Wir sind bemüht, Spielräume zu nutzen und Hartz IV erträglicher zu machen.
Der Spielraum ist zu gering, um Verständnis von Betroffenen zu bekommen; zumal auch der Berliner Senat für sie keine andere Situation schafft als allgemein in Deutschland üblich ist. Darin liegt das Dilemma zwischen der Oppositionspolitik der Linksfraktion im Bundestag und einer Regierungsteilhabe in Berlin.
Ein weiteres Problem ist der Streit zwischen WASG und Linkspartei in Berlin. Nächstes Jahr sind Wahlen und nicht unwesentliche Teile der Berliner WASG gehen davon aus, dass ein Austritt der Linkspartei aus der Berliner Koalition unmittelbar erfolgen soll, noch vor der Wahl.
Diese Haltung teile ich nicht, weil ein Austritt ein politischer Prozess ist, der eine inhaltliche Auseinandersetzung erfordert. Das geschieht nicht über Nacht.
Richtig ist die Forderung der WASG, dass die Linkspartei keine erneute Wahlaussage trifft, in der wir uns eindeutig auf eine Koalition mit der SPD festlegen.

Bewegt sich die SPD nach links?

Derzeit deutet nichts daraufhin, dass solche Hoffnungen, wie sie zum Teil auch in der Linksfraktion vertreten werden, gerechtfertigt sind. Schon während Schröders Regierungszeit haben sich SPD und CDU so aneinander gebunden, dass die große Koalition sicher halten wird. Wer so in eine große Koalition geht, hat nicht die Absicht, linke Politik zu entwickeln.
Die Linkspartei ist heute die viertstärkste Partei im Bundestag und ich gehe davon aus, dass sie die Opposition stark machen muss und vor allem dadurch eine Chance hat, auch 2009 wieder in den Bundestag einzuziehen. Wir können das Wahlergebnis von zwei Seiten aus betrachten: Gehe ich davon aus, dass die PDS 2002 gescheitert ist und wir jetzt 8,7 Prozent erreicht haben, ist es ein gutes Ergebnis.
Gehe ich aber davon aus, dass uns zu dem Zeitpunkt, da die SPD 28 Prozent hatte, 13 Prozent vorhergesagt wurden, dann darf ich die Verluste nicht verschweigen und übersehen. Die SPD hat mit linken Parolen einen Teil dieser Wähler wieder zu sich ziehen können.
Doch was von den Erklärungen aus ihrem Wahlkampf bleibt, ist in der großen Koalition sichtbar. Deshalb glaube ich nicht, dass man sich 2009 auf eine veränderte SPD einstellen sollte.

Du schreibst über Parallelen zur Kommunistischen Partei Frankreichs (KPF). Worin bestehen diese?

Die KPF war erst jüngst mit der Sozialistischen Partei in einer Regierung. Im Ergebnis hatte sie in den letzten drei Jahren weitgehend Verluste bei Wahlen und stürzte in eine innere Krise.
Außerdem hat sich in Frankreich eine Linke neben der KPF aufgebaut. So war ich im Europäischen Parlament zusammen mit fünf Abgeordneten der KPF und mit der gleichen Anzahl trotzkistischer Genossen in einer Fraktion.

Die Linkspartei hat sich das Strategische Dreieck aus Widerstand, Gestaltung und Antikapitalismus zum Ziel gesetzt. Worauf sollte der Schwerpunkt liegen?

Seit den Wahlen vom 18. September sind wir als Opposition im Bundestag vertreten. Diese hat nur dann eine Chance, im Parlament gehört zu werden, wenn der außerparlamentarische Kampf der sozialen Bewegungen, auch der Gewerkschaften, sich so stark entfaltet, dass die Linksfraktion sich darauf stützen kann. Diesen Kampf zu unterstützen muss auch unsere Aufgabe sein.
Zum zweiten Eckpunkt, zu Teilhabe und Gestaltung von Politik, möchte ich betonen, dass Verantwortung nicht erst da beginnt, wo man in einer Regierung sitzt. Opposition erfordert ein hohes Maß an Verantwortung.
Ich habe dem Bundestag und dem Europa-Parlament angehört und war in beiden in der Opposition. Und ich hatte nicht einen Tag das Gefühl, dass ich nicht in Verantwortung gestanden hätte. Man muss nicht notwendig selbst am Regierungstisch sitzen, um Entscheidungen zu beeinflussen.
Gleichzeitig müssen wir eine Alternative über den Kapitalismus hinaus entwickeln, damit auch nachfolgende Generationen die Chance auf Leben auf dieser Erde haben. Denn Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, wonach die Menschen lange vor dem „real existierenden Sozialismus“ strebten, bietet der Kapitalismus nicht.
In den letzten zehn bis fünfzehn Jahren erlebe ich tiefe Veränderungen in Deutschland und weltweit. Kriege mit größter Grausamkeit wie in Irak gehören wieder zur Tagesordnung.
Selbst in hoch entwickelten Industrieländern geht die Kluft zwischen arm und reich immer weiter auseinander. Wir hörten von Millenniumszielen zur Bekämpfung der Armut, erleben aber, dass sie weltweit zunimmt.

Was erhoffst du dir von den Gesprächen über die Bildung einer neuen linken Partei bezüglich einer Klärung der Frage der Regierungsbeteiligungen der Linkspartei in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern?

Wir sollten auf drei Ebenen diskutieren. Die erste ist: Welche Analyse haben wir? Zu Berlin hat die Rosa-Luxemburg-Stiftung (RLS) eine Studie von Professor Reißig veröffentlicht. Professorin Edeltraut Felfe und andere haben jüngst eine zu Mecklenburg-Vorpommern herausgebracht.
In Workshops und Foren haben WASG und Linkspartei jetzt die Chance, einen wissenschaftlichen Vergleich zu diskutieren. Ich habe die RLS gebeten, zu Beginn kommenden Jahres eine solche Veranstaltung durchzuführen und hoffe, dass daran auch der Berliner Wirtschaftssenator Harald Wolf und der mecklenburg-vorpommerische Umweltminister Wolfgang Methling teilnehmen und sie ihre Argumente darstellen.
Zweitens müssen wir die Ergebnisse bei der Regierungsbeteiligung der PDS für den Wahlkampf bereitstellen, den wir in beiden Bundesländern nächstes Jahr führen werden – gegen eine SPD, mit der wir bislang in einer Regierungskoalition saßen. Die Berliner haben sich auf sieben thematische Foren geeinigt und sollten sich jetzt auch zusammensetzen, um festzustellen, wo es Gemeinsamkeiten gibt und wo Probleme offen sind.
Unser beider Ziel sollte eine Debatte über ein gemeinsames Wahlprogramm sein. So finden wir hoffentlich auch Menschen für eine gemeinsame Kandidatenliste.
Mit Blick auf den Parteitag der WASG in Berlin halte ich es deshalb für wenig konstruktiv, wenn eine Partei der anderen zuruft: Wir haben unser Papier hingelegt. Wann kommt eures? So zäumen wir den Gaul vom Schwanz her auf und bestätigen das Vorurteil, dass die Linken mal wieder wie zerstrittene Ziegen aufeinander losgehen.
Damit komme ich zur dritten Ebene: Wir dürfen hier in Berlin nicht ins Gegenteil verkehren, was bundesweit in beiden Parteien schon gar nicht mehr strittig ist und sollten endlich auch in Berlin in einen konstruktiven Dialog über den gemeinsamen Parteibildungsprozess treten. Wir haben vor der Vereinigung der beiden Parteien eine gemeinsame Fraktion im Bundestag. Warum sollten wir eine Einigung nicht auch in Berlin erreichen?
Wer glaubt, mit einer eigenen Liste in Berlin Bedeutendes gegen die Linkspartei zu erreichen, irrt sich. Beide Parteien werden dabei nur verlieren.
Die eine wird im Abgeordnetenhaus etwas schwächer sitzen. Und bei der anderen ist nicht einmal sicher, ob sie reinkommt. Für die Menschen in dieser Stadt bringt das gar nichts.

Das Gespräch führte Irmgard Wurdack

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