Von Demokratie keine Spur

Stefanie Haenisch über das Referendum im Irak und die Wahlen in Afghanistan.

Die Abstimmung im Irak über den Verfassungsvorschlag und die Wahlen in Afghanistan werden von den Regierungen des Westens als Sieg auf dem Weg zur Demokratie gefeiert.

Die Realität ist eine andere. Im Irak sind über 170.000, in Afghanistan über 30.000 mit modernsten Waffen ausgerüstete ausländische Soldaten im Einsatz.

Im Irak hat der fortgesetzte Krieg der Besatzungsmächte große Unsicherheit erzeugt. Zehntausende wurden durch Bombardierungen umgebracht oder zu Flüchtlingen im eigenen Land. Die elende Lage der Masse der Bevölkerung hat sich überhaupt nicht verbessert. Die Menschen sind damit beschäftigt, die grundlegendsten Notdürftigkeiten für das Überleben zu organisieren.

In Afghanistan ist die Lage nicht besser. Auch hier muss sich die Masse der Menschen irgendwie durchschlagen, Tausende Flüchtlinge leben in Zeltstädten vor Kabul. Die Angriffe auf die ausländischen „Schutz“-Truppen haben deutlich zugenommen. Auch die Bundeswehr wurde schon beschossen. Allein durch diese Bedingungen werden die demokratischen Willensbildungsprozesse entscheidend eingeschränkt.

Referendum im Irak

Vor dem am 15. Oktober 2005 durchgeführten Referendum über einen Verfassungsentwurf waren die formalen Voraussetzungen für einen demokratischen Willensbildungsprozess im Irak nicht gewährleistet. Die aus den Januarwahlen hervorgegangene Übergangsnationalversammlung hatte sich nicht auf einen Verfassungsentwurf einigen können. Nur drei Tage vor der Abstimmung wurde der Verfassungsentwurf von einem sehr kleinen Kreis (von Regierungsmitgliedern) noch einmal in wichtigen Punkten geändert. Die Auslieferung des unveränderten, gedruckten Textes begann erst eine Woche vor dem Referendum. Der Streit über die Verfassung wurde durch die Besatzungsmacht vorprogrammiert. Schon im März 2004 hatte diese sich von dem durch die USA eingesetzten Provisorischen Regierungsrat eine von US-Juristen entworfene Verfassung, das Übergangsverwaltungsgesetz (TAL), abzeichnen lassen. Der jetzige Verfassungsentwurf orientiert sich stark daran. In der TAL wurde die Bildung von weitgehend autonomen „föderalen Regionen“, also großen Zonen vorgesehen, deren Machtbefugnisse im Verhältnis zum Gesamtstaat Irak bis heute nicht geklärt sind. Das ist ein wichtiger Streitpunkt. Die Verfassung wird die Spaltung entlang ethnischer Linien zwischen den Volksgruppen verstärken. Darüber hinaus bleiben alle Dekrete der Besatzungsmacht bis auf weiteres in Kraft.

Vor diesem Hintergrund ist die offizielle Interpretation der Abstimmung, der zufolge 78,5 % für den Verfassungsentwurf und 21,5 % dagegen seien, reines Wunschdenken. Die Wähler haben aber ihren Wunsch zum Ausdruck gebracht, endlich im Irak selbst zu bestimmen. Das passt auch zusammen mit den jüngsten Ergebnissen einer britischen Umfrage: Danach werden Angriffe auf Amerikaner von 65 % der Iraker unterstützt. Über 80 % lehnen die ausländische Truppenpräsenz ab.

Parlamentswahlen in Afghanistan

Die Parlamentswahlen in Afghanistan waren ähnlich undemokratisch. Die Wähler konnten nicht zwischen Parteien und Programmen entscheiden, sondern durften unter fast 6.000 Personen Einzelkandidaten für 669 Plätze im Parlament und in den Provinzen auswählen! Afghanistan war vollgepflastert mit Gesichtern. In der Hauptstadt Kabul gingen nur noch 36 % der registrierten Wähler zur Abstimmung. Im Landesdurchschnitt waren es etwa 50 %. Das sind 17 % weniger als bei der Präsidentenwahl ein Jahr zuvor. Ergebnis ist, dass im nationalen Parlament der von den USA und EU aufgebaute Präsident Hamid Karzai uneingeschränkt das Sagen hat und in den Provinzen wichtige Kriegsfürsten ihre Machtstellung durch Wahlen legitimiert bekommen haben.

Demokratie ohne freie Gewerkschaften?

Eine unabdingbare Voraussetzung für eine demokratische Gesellschaft sind freie Gewerkschaften. Im Irak sind sie durch die Befehle des US-Prokonsuls Paul Bremer im Herbst 2003 verboten worden. Während die Gesetze zur Einschränkung des Einflusses ausländischen Kapitals rigoros gestrichen wurden und damit eine ungeheure Freiheit hergestellt wurde, die den Ausverkauf des Irak an die weltweit wirtschaftlich Stärksten leicht macht, wird die andere Seite, die Seite der Arbeiter, weiterhin mit dem von den US-Befehlshabern aus der Saddam-Hussein-Zeit übernommenen Gewerkschaftsgesetz geknebelt.

Die GUOE, eine Gewerkschaft von Ölarbeitern im Süden des Irak, hat sich diesen Befehlen nicht unterworfen und erfolgreich dagegen gekämpft. Sie hat weitgehend den Lohnstopp verhindert, wie auch, dass irakische Kollegen zugunsten von Arbeitskräften von US-Konzernen entlassen wurden.

Sie hat geholfen die Privatisierung von Staatsbetreiben zu verhindern. Sie sieht eine entscheidende Aufgabe darin, den Ausverkauf der Ölwirtschaft zu verhindern. Das ist ihr Teil des Widerstands gegen die Besatzung.

Zwei KollegInnen, die über ihre Gewerkschaft, ihre Kämpfe, den Widerstand gegen die Privatisierung und über die Lage im Irak auf einer Rundreise in Deutschland, Österreich und Dänemark berichten wollen, wurden unerwartet – ohne Angabe von Gründen – von der deutschen Botschaft die Visa verweigert. Das wirft ein Licht darauf, wie sehr sich die Bundesregierung mit der Bush-Regierung einig ist, was „Demokratie“ ist: maximale Freiheit für das Kapital und dessen politischen Freunde, maximale Unterdrückung der Rechte der Arbeiter und ihrer Freunde.

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