Wir wollen mehr

Die Linkspartei ist seit 2001 in der Berliner Landesregierung. Warum die WASG Berlin nicht regieren will, erklärt Luigi Wolf vom Landesvorstand.


Mitglieder der WASG Berlin sind im Bundestagswahlkampf für die Linkspartei mit Minibus und Fahhrädern durch Berlin gefahren. Über Megafon haben sie erklärt, warum eine starke linke Fraktion gegen Sozialabbau, Krieg und Rassismus nötig ist. Sie haben Flugblätter und Programme verteilt und mit Passanten diskutiert

Vier Mitglieder des Berliner Landesvorstands der Linkspartei, Stefan Liebich, Halina Wawzyniak, Carsten Schatz und Udo Wolf, schlagen in ihrem „Diskussionspapier zur möglichen Vereinigung von WASG und Linkspartei.PDS“ ( auf der Internetseite www.wasg-berlin.de/uploads/media/Zur_Fusion_von_Linkspartei.PDS_und_WASG.pdf) eine „zügige bundesweite Vereinigung bis zum Frühjahr nächsten Jahres unter Inkaufnahme nicht ausdiskutierter Differenzen“ vor.

Die Berliner WASG hat im Juni 2005 beschlossen, gemeinsam mit der Linkspartei zu den Bundestagswahlen 2005, aber getrennt zu den Berliner Abgeordnetenhauswahlen im Herbst 2006 anzutreten. Linksruck sprach mit Luigi Wolf vom Berliner Landesvorstand der WASG über die verschiedenen Vorstellungen der beiden Parteien.

Die Vorstandsmitglieder der Linkspartei Berlin schreiben, dass wir unsere Wähler und all jene enttäuschen, die große Hoffnungen in eine Vereinigung der Linken setzen, wenn WASG und Linkspartei 2006 in Berlin getrennt antreten. Sie schlagen eine Fusion von WASG und Linkspartei unter Führung der Bundestagsfraktion noch vor März 2006. Dabei sollen die entscheidenden Diskussionen auf Experten beschränkt bleiben.

So würde in Berlin die viel größere Linkspartei die WASG einfach schlucken, ohne dass wir die entscheidende Differenz klären könnten: Kann Politik gegen Neoliberalismus in Berlin auch in der Landesregierung gemacht werden.

Der Landesdelegiertenrat, das höchste Gremium der WASG zwischen Parteitagen, hat eine andere Herangehensweise beschlossen. Auch wir als WASG wollen alles in Bewegung setzen, um eine gemeinsame Kandidatur gegen Neoliberalismus in Berlin zu ermöglichen. Zunächst werden wir im November bei unserem Berliner Parteitag die inhaltlichen Eckpunkte für die Vereinigung mit der Berliner Linkspartei klären.

Danach schlagen wir der Linkspartei vor, in öffentlichen Foren gemeinsam mit anderen Interessierten zu diskutieren, wie linke Politik in Berlin aussehen soll – ergebnisoffen, aber mit dem Ziel, ein breites demokratisches Linksbündnis zu schaffen.

Für mich gehören dazu auch die Studierenden, die vor zwei Jahren gestreikt haben, die Arbeiter im öffentlichen Nahverkehr oder die Lehrer, die unter den Kürzungen von Rot-Rot zu leiden haben. Wenn die Linkspartei in der Berliner Landesregierung wirklich nur ein „Vermittlungsproblem“ gehabt haben soll, wie die vier Kollegen schreiben, dann sollten sie sich über die Gelegenheit freuen, ihre Argumente vorzutragen.

Im März 2006 wollen wir bei einem Parteitag die Gespräche offen auswerten. Danach entscheiden die Mitglieder in einer Urabstimmung, ob wir in Berlin gemeinsam antreten.

Denn was wir bundesweit sagen, „Veränderung beginnt mit Opposition“, gilt besonders für Berlin. Wenn man stattdessen mit einer SPD regiert, die die Haushaltslage als gegeben hinnimmt, kann man als ihr Juniorpartner nur Kürzungen „gestalten“.

Berlin hat eine Pro-Kopf-Verschuldung, die mit 15.900 Euro im Jahr 2004 dreimal so hoch ist wie die Argentiniens, dem Musterbeispiel für einen Staatsbankrott. Der Senat hat eine Klage auf Schuldenerlass eingereicht. Diese würde aber, selbst wenn sie Erfolg hätte, nur 35 der rund 80 Milliarden Euro Schulden betreffen.

Mit dem Schuldenerlass wären Anforderungen an das Land Berlin verbunden, wie sie sonst verschuldeten Ländern der Dritten Welt auferlegt werden: Privatisierungen von städtischen Betrieben und massive Haushaltskürzungen. In der Regierung steht die Linkspartei dann vor der Wahl: Schneidest du dir den kleinen Finger ab, oder den großen Zeh? Die Amputation selbst kann sie nicht in Frage stellen.

Ein Beispiel: Seit 2002 hat Rot-Rot die Jugend- und Erziehungshilfe von 451 Millionen um 128 Millionen Euro gekürzt. Die Regierung will im Haushalt 2006/07 weitere 33 Millionen Euro streichen.
Betroffen sind zum Beispiel Frauen, die mit 16 schwanger werden und nicht wissen, wie sie ihr Kind großziehen sollen, oder Minderjährige, die vor Misshandlung in ihrer Familie fliehen.

Wegen der Kürzungen verzögern, beschränken oder verweigern immer mehr Jugendämter Hilfe. Immer öfter schieben die Ämter Jugendliche in Jobcenter ab, sobald dies gesetzlich möglich ist. Dort wird ihnen aber erst recht nicht geholfen.

In Berlin leben derzeit so viele arme Familien, Kinder und Jugendliche wie in keiner anderen deutschen Großstadt. Die Arbeitslosigkeit liegt bei 19,4 Prozent und seit Einführung von Hartz IV lebt ein Drittel der Berliner Kinder in Armut. Die Menschen brauchen also mehr Unterstützung, nicht weniger.

Für einen solchen Politikwechsel ist entscheidend, dass wir den Berlinern die Wahrheit sagen und sie für einen Konflikt mit der Bundesregierung gewinnen. Der Bund muss das Land Berlin entschulden und die Besteuerung von Reichen und Konzernen zugunsten der Kommunen erhöhen.

Eine Kampagne dafür gemeinsam mit der Berliner Bevölkerung könnte eine Kampagne aller Kommunen anstoßen, die durch die rot-grünen Steuerreformen finanziell ruiniert werden. Die Politik von Rot-Rot demoralisiert jedoch genau diejenigen, mit denen wir gemeinsam die Bundesregierung unter Druck setzen könnten. Deswegen bleiben wir dabei: Veränderung beginnt mit Opposition – auch in Berlin.

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