Die G8 retten nur Profite

Die Regierungschefs der acht reichsten Industriestaaten haben im Juli versprochen, die Armut in Afrika zu bekämpfen. Jetzt lassen sie zehntausende Kinder im Niger verhungern.


Das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen, Unicef, schätzt die Zahl der in Niger von der Hungerkatastrophe betroffenen Menschen auf 3,6 Millionen. 800.000 von ihnen sind Kinder

Stichwort: Bodenschätze
Die Menschen des Landes sind heute ärmer als nach dem Ende der Kolonialherrschaft 1958. Niger ist das zweitärmste Land der Erde. Dabei könnten die Menschen wirklich reich sein.
Nach Kanada und Australien ist Niger der drittgrößte Uranproduzent der Erde. Das Uranerz liefert dem Land 72 Prozent seiner Exporteinnahmen. Doch die nigerschen Arbeiter in den beiden Uranbergwerken haben nicht einmal Anspruch auf Strahlenschutz oder Gesundheitskontrollen.
Fast die gesamte Fördermenge an Uranerz wird seit je her vom ehemaligen Kolonialherrn Frankreich abgenommen – zu Festpreisen. Denn die Förderung wird von dem französischen Atomkonzern Cogema/Areva kontrolliert.
Darüber hinaus gibt es Erdöl in dem Land. Doch der US-Konzern Exxon, der das Monopol auf die Förderung besitzt, lässt die Vorkommen ruhen, um nicht die Weltmarktpreise zu verderben.
Stattdessen muss Niger seinen gesamten Ölbedarf teuer importieren, obwohl die bisher belegten eigenen Vorräte dem Land auf 210 Jahre hinaus die Unabhängigkeit von Öl-Einfuhren garantieren könnten. Exxon verhindert so die industrielle Entwicklung des ganzen Landes.

„Fünf Prozent unserer Patienten können wir nicht mehr helfen“, klagt Tarazian Mego, der Leiter eines Krankenhauses in der nigerschen Provinzhauptstadt Maradi. 13.000 bis aufs Skelett abgemagerte Kinder mit greisenhaften Gesichtern und aufgeblähten Hungerbäuchen haben die Ärzte aufgenommen. Über 700 sind bereits gestorben.

Beim G8-Gipfel im Juli haben die acht mächtigsten Staatschefs behauptet, den Kampf gegen Armut in Afrika zu ihrem Schwerpunkt machen zu wollen. Ihren Worten sind keine Taten gefolgt.

Hilfsorganisationen warnten bereits im Oktober 2004 vor einer Tragödie in Niger: Der seit 20 Jahren schlimmsten Heuschreckenplage letztes Jahr folgte damals nur eine kurze Regenzeit. Und in der langen Dürre während der Anbauzeit magerten die Tiere der Hirtennomaden so weit ab, dass sie nicht mehr verkauft werden konnten. Die Ernten der von der Landwirtschaft lebenden Familien sind vertrocknet.

Die UNO hat im Mai zu einer Krisenhilfe für Niger in Höhe von 18,3 Millionen Dollar aufgerufen. Bis jetzt sind nur 3,6 Millionen Dollar eingegangen. Zum Vergleich: 2004 hat die US-Regierung allein 130 Milliarden Dollar für Aufrüstung und den Krieg gegen den Irak.

Vor sechs Monaten hätte 1 Dollar pro betroffener Person genügt, um der jetzigen Hungersnot in den Sahelländern vorzubeugen. Jetzt ist ein Vielfaches davon nötig, um die Hungernden zu retten.

Selbst in einem „normalen“ Jahr sind in Niger 40 Prozent der Bevölkerung unterernährt und jedes vierte Kind stirbt, bevor es fünf Jahre alt ist. Dabei ist das Land so reich an Bodenschätzen und fruchtbarem Boden, dass niemand in der Sahelzone zu hungern bräuchte.

In den meisten Jahren könnte genug geerntet werden, um Reserven anzulegen. Die Regierung füllt jedoch die Getreidespeicher nicht mehr. Und sie weigert sich sogar, die von Hilfsorganisationen gelieferten Lebensmittel an die verhungernde Bevölkerung zu verteilen. Denn sie will nicht die Preise verderben und internationale Kreditgeber verärgern.

Niger ist auf Geld von außerhalb angewiesen und hoch verschuldet. 60 Prozent des Staatshaushalts werden durch Kredite von Gläubigerstaaten und internationalen Finanzinstitutionen wie dem Internationalen Währungsfonds (IWF) gedeckt.

IWF und Weltbank koppeln die Kredite an so genannte „Strukturanpassungsprogramme“ (SAP). Damit schreiben sie der Regierung schon seit den 1980er Jahren vor, die Wirtschaft des Landes dem „freien“ Markt zu überlassen. Die Folge: Hungertod inmitten von Überfluss.

Während vier Fünftel der nigerschen Bevölkerung von dem bisschen leben müssen, was sie auf kleinen Farmen anbauen, fördert die Regierung unter dem Druck von G8, IWF und Weltbank auf fruchtbarem Boden den Anbau profitablerer Pflanzen für den Export.

Aus einigen Regionen ist die traditionell angebaute Hirse zugunsten von Zwiebel- und Bohnenplantagen bereits völlig verdrängt. An dieser Entwicklung verdienen nigersche Händler, indem sie das Gemüse ins Ausland verkaufen, und internationale Lebensmittelkonzerne, die teureren Weizen nach Niger importieren.

Auf Anweisung von IWF und Weltbank führte die nigersche Regierung erst am 14. März diesen Jahres eine Mehrwertsteuer in Höhe von 19 Prozent auf alle Grundversorgungsgüter wie Wasser, Mehl, Zucker, Milch, Speiseöl und Strom ein. Die Lebensmittelpreise explodierten daraufhin auf mehr als das Doppelte.

Im Vorfeld des G8-Gipfels haben sich Millionen Menschen auf der ganzen Welt für einen Schuldenerlass für die Dritte Welt eingesetzt. Die G8-Staaten erließen Niger seine Schulden auch tatsächlich. Allerdings erst, nachdem die Regierung die staatlichen Elektrizitäts- und Mineralölunternehmen privatisiert hatte, woraufhin die Preise erneut stiegen.

Während im schottischen Gleneagles im Juli (Linksruck berichtete) Zehntausende aus aller Welt gegen den Gipfel protestierten, zogen tausende Demonstranten durch die nigersche Hauptstadt Niamey. Sie bestanden darauf, dass die Regierung kostenlos Nahrungsmittel an die Armen ausgibt.

Präsident Tandja wies ihre Forderungen zurück: „Die Bevölkerung sieht wohlgenährt aus.“

Zur gleichen Zeit berichtete eine Mitarbeiterin der Hilfsorganisation Oxfam aus Niger: „Die Lage ist verzweifelt. Selbst für die Nahrungsmittel, die noch erhältlich sind, haben sich die Preise derart erhöht, dass die meisten Familien sie sich nicht leisten können, und für die nächsten drei Monate gibt es keine Aussicht auf eine neue Ernte. Familien geben ihren Kindern Gras und Blätter von den Bäumen zu essen, um sie am Leben zu erhalten.“

Ähnlich realitätsfern wie Tandja zeigten sich die G8-Staaten, die Niger als Modell für erfolgreiche Armutsbekämpfung lobten und bei ihrem Treffen kein Wort über die Not der Menschen in dem Land verloren. Die einzige Kraft, Hunger und Armut wirklich zu beenden, sind die Arbeiter und Armen selbst.
Als Tandja die Mehrwertsteuer einführte, versammelten sich 150.000 Menschen, die Hälfte der Einwohner der Stadt, in Niamey, um gegen die Teuerungen zu protestieren.

Die Regierung ließ fünf führende Aktivisten des Bündnisses von Menschenrechts- und Stadtteilgruppen und vielen einfachen Menschen festnehmen. Doch die Demonstranten gaben nicht auf.

Eine Woche später blieben alle Läden in den größeren Städten geschlossen. Und Anfang April streikte im ganzen Land die Mehrheit der Arbeiter. Auch Gewerkschaften in den Nachbarländern unterstützen die Revolte im Niger.

Schließlich musste Tandja die Verhafteten wieder frei lassen. Trotz des Drucks von IWF und Weltbank hob er die Mehrwertsteuer für Getreide und Milch wieder auf, bei Strom- und Wasserrechungen soll sie erst ab einer bestimmten Höhe fällig werden.

Dieser Beitrag wurde unter Afrika, International veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.