Interview

Der Nazi-Aussteiger Jörg Fischer hat die NPD und die DVU mit aufgebaut. Im Linksruck-Gespräch erklärt der aktive Antifaschist, warum die NPD am 8. Mai in Berlin marschieren will.


Am 8. Mai will die NPD in Berlin aufmarschieren. Ein breites Bündnis gegen Rechts aus Parteien, Gewerkschaften, dem globalisierungskritischen Bündnis Attac und anderen ruft zu Protesten auf

Jörg Fischer war von 1982 bis 1991 in der Nazi-Szene – als Funktionär der NPD, Gründungsmitglied der DVU und Redakteur ihrer Nationalzeitung. Heute arbeitet Jörg als freier Journalist und Buchautor. Er ist aktiv in der Gewerkschaft, in der neuen Linkspartei „Arbeit und soziale Gerechtigkeit – die Wahlalternative“, in sozialen Bewegungen und Mitglied der Sozialistischen Alternative. Mehr über Jörg

Du warst bis 1991 in der Nazi-Szene und Funktionär der NPD. Was für eine Partei ist die NPD?

Die NPD steht seit ihrer Gründung 1964 in Tradition zu Hitlers NSDAP – sowohl personell als auch programmatisch und ideologisch. Ehemalige Funktionäre der NSPAP und der SS haben die NPD gegründet. In ihrem Programm vertritt sie ebenso wie die NSDAP aggressiven Rassismus, Antisemitismus und eine absolute Feindschaft zur Demokratie.

Die NPD zitiert Rosa Luxemburg und fordert Meinungsfreiheit für Andersdenkende. Muss eine Demokratie so was nicht aushalten?

„Meinungsfreiheit“ kommt bei den Nazis immer nur vor, wenn sie mit berechtigtem Protest konfrontiert werden. In Wirklichkeit fordern sie Meinungsfreiheit nur für sich selbst, um ungehindert gegen Juden, Einwanderer, Gewerkschafter und Linke hetzen zu können.
Man muss unterscheiden, wie die Nazis nach außen auftreten und was sie tatsächlich meinen. Wenn die NPD von „Demokratie“ redet, meint sie einen autoritären Führerstaat ohne demokratische Mitbestimmung.
Mit „Sozialismus“ bemänteln die Nazis ihr Ziel einer so genannten „Volksgemeinschaft“ auf rassistischer Grundlage. Auch die NSDAP hat sich sozialistisch genannt, war es aber nicht.

Die NPD tritt gegen Hartz IV und Kapitalismus auf. Sind Nazis Antikapitalisten und gegen Sozialabbau?

Nein. In Wirklichkeit geht der NPD Hartz IV nicht weit genug. Das sagt sie natürlich nicht in ihren Flugblättern. Sie will den Abbau von Arbeitnehmerrechten und befürwortet letztendlich Zwangsarbeit. So fordert die NPD im Wahlprogramm zur sächsischen Landtagswahl 1999 Arbeitszwang für Erwerbslose.
Die NPD ist gewerkschaftsfeindlich. Wenn sie gegen Hartz IV auftritt, dann nicht weil sie auf der Seite der Betroffenen steht, sondern weil sie den Widerstand gegen Sozialabbau spalten und als Trittbrett missbrauchen will.
Die NPD stellt den Kapitalismus nicht in Frage. Im Gegenteil bekennt sie sich in ihrem Parteiprogramm zum Privateigentum und zum Profitstreben der Unternehmer.

Die NPD hatte enorme Wahlerfolge. Trotzdem hoffen viele, dass sie sich in den Parlamenten so blamiert wie früher die DVU, die nach einer Legislaturperiode in Sachsen-Anhalt nicht wieder gewählt wurde.

Das ist eine Illusion. Die NPD hat wesentlich besser geschulte Kader in den Parlamenten.
Die Abgeordneten der DVU waren schon überfordert, ihre Reden eigenständig zu formulieren. Die der NPD im sächsischen Landtag bekommen sogar Stimmen aus anderen Fraktionen.
Wahlerfolge bringen der NPD Wahlkampfkostenerstattung. Außerdem stärken sie das Selbstbewusstsein der gesamten Szene. Seitdem die NPD in den sächsischen Landtag eingezogen ist, kommen Nazis insgesamt stärker aus der Deckung raus und schlagen zu – im wahrsten Sinn des Wortes.

Die NPD zieht vor allem junge Leute an. Wie schmiedet die Partei aus ihren Neumitgliedern überzeugte Nationalsozialisten?

Durch intensive Schulungsarbeit. Die Kader geben ihr neonazistisches Geschichtsbild und rassistisches Weltbild an die Neuen weiter – untermauert mit pseudowissenschaftlichen „Lehren“ aus den 30er Jahren. Schwule und Lesben zum Beispiel werden darin als „krankhaft“ eingestuft und alles läuft darauf hinaus, dass die „arische Rasse“ anderen „Rassen“ überlegen sein soll.

Am 2. April in München hat sich die NPD an einem Aufmarsch von „Freien Kameradschaften“ beteiligt. In welcher Verbindung stehen die Nazi-Schläger der Kameradschaften zur NPD?

Die NPD bemüht sich um die politische Führung der bisher zersplitterten Neonazi-Gruppen. Man darf nicht vergessen, was die NPD mit dem Konzept der „Volksfront von Rechts“ verfolgt. Ihr Ziel ist die physische Vernichtung aller, die nicht ihrer Wahnvorstellung einer angeblich deutschen Norm entsprechen. „Kameradschaften“ unterstützen die NPD bei Wahlkämpfen und NPD-Kader treten als Redner bei Neonazi-Demonstrationen auf. Die NPD nimmt Führer der Kameradschaften in den Vorstand und stellt sie als Kandidaten auf.
Für die Wahlen in Nordrhein-Westfalen kandidiert auf einem der vorderen Listenplätze der NPD Christian Malcoci. Er war Funktionär des Komitees zur Vorbereitung der Feierlichkeiten zum 100. Geburtstag Adolf Hitlers und spielt eine wichtige Rolle beim Aufbau der Anti-Antifa-Bewegung.

Würden Verbote und Demobeschränkungen die Nazis stoppen?

Die bestehenden Gesetze würden ausreichen, um Nazi-Aufmärsche zu verhindern. Doch der Staat hat die NPD jahrelang am Leben erhalten und aufgebaut. Während des NPD-Verbotsverfahrens ist das ansatzweise ans Licht gekommen: Verdeckte Ermittler des Verfassungsschutzes haben die NPD nicht nur beobachtet, sondern die Neonazi-Szene organisiert. Einer von ihnen, Thomas Diehnel, hat mit Geld und Informationen vom Verfassungsschutz eine Verleumdungskampagne gegen den aktiven kämpferischen Gewerkschafter und damaligen HBV-Vorsitzenden Angelo Lucifero geführt.
Der Staat ist weder fähig noch willens, wirklich etwas gegen Nazis zu tun. In Schleswig-Holstein haben nur massive Proteste bewirkt, dass die NPD die Kandidatur von Heinrich Förster, dem stellvertretenden Landesvorsitzenden zurücknehmen musste. Er ist vorbestraft, weil er jüngere Nazis dazu angestiftet hatte, ein Flüchtlingsheim in Brand zu setzen.

Manche fürchten, dass Proteste die NPD aufwerten, statt ihr zu schaden.

Wenn Nazis nicht behindert werden, werden sie selbstbewusster. Ziel der Aufmärsche ist zwar auch Propaganda nach außen. Doch vor allem stärken Aufmärsche ihre innere Geschlossenheit. Deshalb tritt die NPD wie damals die NSDAP mit Trommeln, Fahnen und in Uniform auf. Dass nach größeren Aufmärschen Gewalttaten zunehmen, ist kein Zufall, sondern Ziel.
1968 war die NPD mit 61 Sitzen in sieben Landtagen vertreten. Doch bei den Bundestagswahlen 1969 scheiterte sie an einer breiten Gegenmobilisierung – vor allem durch die Gewerkschaften. In vielen Städten organisierten Bündnisse Sternmärsche. In Nürnberg stellten sich 20.000 Menschen den Nazis in den Weg.
Als im Wahlkampf der Leiter des Ordnerdienstes der NPD zwei Gegendemonstranten anschoss, gingen noch mehr Nazigegner auf die Straße. Die Partei kam nicht in den Bundestag. Statt 28.000 Mitgliedern im Jahr 1969 hatte sie 1972 nur noch 14.500.

Das Gespräch führte Irmgard Wurdack

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