Das "alte Europa" bringt keinen Frieden

Auf der Berliner Friedensdemo verteilten die Grünen einen Aufkleber mit der trotzigen Parole "Old Europe – altes Europa". Doch Europa ist nicht die friedliche Alternative zu Bushs Kriegstreiberei.Mit dem "friedlichen" Europa" war es im vorigen Jahrhundert nicht weit her. Zwei Weltkriege verwüstetem den Kontinent in der ersten Hälfte des Jahrhunderts. England führte 18, Frankreich 15 Kriege bis 1982 – meist Rückzugsgefechte der ehemals großen Kolonialmächte aus Afrika und Asien.

Deutschland war der Verlierer des Zweiten Weltkriegs. Von 1945 bis zum Ende des Kalten Kriegs waren die deutschen Herrschenden auf die weltweite Militärmacht der USA angewiesen, um ihre Interessen durchzusetzen. Eigenständige militärische Interventionen außer Landes waren weder möglich noch notwendig.

Das ließ den deutschen Staat als "friedlicher" als den französischen, britischen, russischen oder amerikanischen erscheinen.

Seit dem Ende des Kalten Krieges zeichnet sich jedoch ein neues Entwicklung ab: Eine Remilitarisierung auch der deutschen Außenpolitik. Dazu gehört die Umrüstung der Bundeswehr von einer territorialen Verteidigungsarmee in eine international operationsfähige Interventionsarmee.

Deutschland hat sich seitdem an vier Kriegen beteiligt: Somalia, Kosovo, Bosnien und Afghanistan. Die Vorstände der deutschen Konzerne forderten eine stärkere militärische und politische Eigenständigkeit Deutschlands.

Die Irak-Politik ist ein Beipiel dafür. Genau eine Woche vor den Anschlägen auf das WTC hatte sich der BDI-Hauptgeschäftsführer Ludolf von Wartenberg für eine"Emanzipation Deutschlands von der US-Politik gegenüber Irak stark gemacht."

Frankreich und Deutschland traten damals für eine Aufhebung der Handelsbeschränkungen gegen den Irak ein.

Der 11. September und der folgende Feldzug von Bush veränderte die Lage. In Führungskreisen des deutschen Kapitals fand zwischen den WTC-Anschlägen und heute ein bemerkenswerter Gesinnungswandel statt.

Eine für Dezember 2001 in Stuttgart geplante große Nahostkonferenz der deutschen Industrieverbände platzte und signalisierte das vorläufige Scheitern der Loslösungsbestrebungen von den USA.

Der gleiche Herr von Wartenberg, der mehr Abstand von den USA gefordert hatte, warnte ein Jahr später die Schröder-Regierung, "die deutsch-amerikanischen Beziehungen schnellstmöglich zu kitten".

Längst haben sich BDI und Kapital hinter die Kritik von Union und FDP an der Schröder’schen "Verweigerungshaltung" zum Irakkrieg gestellt.

Die Widersprüche in den Argumenten des Herrn Wartenberg weisen auf ein grundsätzliches Problem des deutschen Kapitalismus nach 1945 hin. Deutschland sei "wirtschaftlich ein Riese, politisch ein Zwerg", hatte der CSU’ler Franz-Josef Strauß gesagt. Er meinte damit, dass die militärischen Fähigkeiten des deutschen Kapitalismus nicht seinen wirtschaftlichen entsprächen.

Der CDU-Außenpolitiker Karl Lamers hatte diesen Widerspruch im Frühjahr 2002 auf den sich damals bereits abzeichnenden Konflikt zwischen Deutschland und den USA über einen neuen Irakkrieg konkretisiert: "Die Europäer" müssten "endlich in den Stand kommen, eine Rolle zu spielen, die ihren Interessen entspricht."

Die europäischen Interessen seien "selbst nicht grundsätzlich anders als die der USA". Lediglich in der Art, wie man diesen Interessen vertrete, gebe es Unterschiede.

"Wir Europäer", so fährt er fort, "müssten uns zunächst stärker auf Diplomatie konzentrieren – und das Militärische müsste ein Teil des Politischen sein." Außerdem fehle die "politische Einstimmigkeit", Europa müsste aber auch "auf dem militärischen Feld mehr tun." Lamers beklagt den "wachsenden Abstand" zwischen Europa und Amerika, "was die militärischen Möglichkeiten anbelangt."

So erklärt sich auch der rasche , aber nicht überraschende Sinneswandel des Herrn von Wartenberg. Der Irak-Krieg kommt gewissermaßen zu früh: die Europäischen Mächte sind politisch gespalten und militärisch spielen sie mindestens eine Liga tiefer.

Die Emanzipationsgelüste des BDI-Sprechers sind ihm vergangen. Nun gilt wie im Afghanistan-Krieg wieder die Parole, dass – wenn man den Krieg nicht verhindern kann – am besten mitmacht, denn nur "wer mitmache könne mitbestimmen".

Mit ihrer grundsätzlichen Zustimmung zu einem Krieg als "letztem Mittel" haben sich Fischer und Schröder der Kritik des bürgerlichen Lagers und der Unternehmerverbände an der "Form" ihrer Antikriegspolitik schon ein Stück gebeugt.

Die relative Schwäche des "alten Europas" mit Friedfertigkeit zu verwechseln wäre ein unverzeihlicher Fehler. Das "Alte Europa", das Europa Chiraqs und Schröders, rüstet auf und um, damit es in Zukunft nicht leer ausgeht.

Die Kritik der Konservativen und der Unternehmerverbände an der deutschen "Verweigerungshaltung" zeigen auch, dass der antimilitaristische Wahlkampf von Schröder und Fischer kein Manöver der herrschenden Klasse war, sondern Ausdruck einer breiten Antikriegshaltung ihrer Anhänger und Wähler ist. Sorgen wir dafür, dass Fischer und Schröder von der Sorge geplagt bleibt, dass ihre Tage gezählt sind, wenn sie ihre Politik der kleinen Schritte weg vom Antikriegskurs hin zum imperialistischen Krieg weitergeht.

Dieser Beitrag wurde unter Europa, Imperialismus veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.