Standpunkt: Neun Uhr – Eine andere Welt


„We are the people! Wir sind das Volk!“ Auf der Demo zum Abschluss des ESF rufen deutsche Teilnehmer den Slogan der Montagsdemos auch durch die Straßen von London. Zum Treffen der Teilnehmer aus Deutschland während des ESF kommen 300 Menschen

Das Europäische Sozialforum (ESF) in London hat die besten Seiten der vorherigen Sozialforen in Florenz und Paris in sich vereint. 25.000 Teilnehmer schufen eine Insel des Widerstands im grauen, verregneten, neoliberalen London – jung, laut und lebendig.

Die Stimmung im Hauptveranstaltungsort Alexandra Palace war international, chaotisch und radikal. Überall wurde diskutiert, dazwischen unzählige Infostände – von der christlichen Kampagne für atomare Abrüstung über die Solidaritätskampagne für Palästina bis hin zu verschiedenen Gewerkschaften. Das ganze Spektrum der Bewegung war vertreten.

Das erste ESF in Florenz im Herbst 2002 war jung, radikal und von der Bewegung gegen den damals drohenden US-Krieg gegen den Irak geprägt. Beim zweiten ESF in Paris war es dann gelungen, breitere Kreise, vor allem Gewerkschafter, einzubeziehen.

Ähnlich wie in Florenz spielte auch in London der Krieg gegen den Irak eine wichtige Rolle. Viele Menschen waren sich einig, dass der Krieg sofort beendet werden muss. Sie meinten, dass es die Besatzungsmächte im Irak ähnlich wie vor 30 Jahren in Vietnam schwer haben werden, den Widerstand zu brechen.

Die starke Antikriegsbewegung reicht in Großbritannien von der traditionellen Friedensbewegung über muslimische Organisationen und Gewerkschaften bis ins revolutionär-sozialistische Lager. Diese Bewegung hat viele Teilnehmer zum Forum mobilisiert.

Wie damals Florenz war auch London rot: Viele sozialistische Organisationen, Parteien und Netzwerke – von der italienischen Rifondazione Comunista, über die französische LCR bis zu den größten britischen sozialistischen Gruppen SWP und SSP haben sich beteiligt. Aber auch neue linke Organisationen wie das britische Wahlbündnis Respect und die neue Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit aus Deutschland waren dabei.
Dass das ESF weiter nach links gerückt ist, kann man auch daran erkennen, dass die Veranstaltungen zu den Themen Krieg gegen den Irak, US-Imperialismus, Palästina und Widerstand gegen die Besatzung am meisten Teilnehmer anzogen.

Aber auch die Gewerkschaften haben ihre internationale Zusammenarbeit verstärkt. Darüber hinaus kamen 500 Menschen zu einer Veranstaltung, auf der es um Strategien der Linken in Gewerkschaften ging.

Zu einer hitzigen Diskussion über das Kopftuchverbot kamen ebenfalls 500 Leute. Anders als in Paris waren in London die Unterstützer des Kopftuchverbots in der Defensive, allen voran Bernard Cassen, der Ehrenpräsident von Attac Frankreich. Die Musliminnen haben mit ihrer Arbeit in der Antikriegsbewegung viele Aktivsten überzeugt, gegen das Kopftuchverbot einzutreten.

Der abschließende Höhepunkt war die Demonstration, an der etwa 100.000 Menschen teilnahmen. Es war eine große antikapitalistische Demonstration gegen Krieg, Rassismus und Privatisierung. Die zahlreichen Demonstranten aus der Antikriegsbewegung machten sie zu einer gewaltigen Anklage gegen die Regierungen der Besatzungsmächte im Irak, Großbritannien und USA.
Das ESF hatte aber auch eine Schattenseite. Eine kleine Gruppe „Autonomer“ störte eine Veranstaltung zum Thema „Faschismus und Rechtsextremismus in Europa stoppen“, weil dort der Londoner Bürgermeister Ken Livingstone reden sollte.

Livingstone ist Vorsitzender des antifaschistischen Bündnisses Unite. Die „Autonomen“ wollten verhindern, dass er redet, weil er Mitglied der Regierungspartei Labour ist. So wollten sie ihre gesamte Kritik am ESF ausdrücken.
Die Gruppe besetzte 30 Minuten die Bühne. Einer von ihnen schlug den Redeleiter Weyman Bennet, um ihm das Mikrofon wegzunehmen. Bennet ist schwarz und vertrat Unite auf dem Podium.

Seit langem wird in der antikapitalistischen Bewegung diskutiert, welche politischen Kräfte mitarbeiten sollen.
Einige Aktivisten haben immer wieder die ESF-Vorbereitung blockiert, weil sie nicht wollten, dass Mitglieder von Parteien, Gewerkschaften oder sozialistischen Organisationen daran beteiligt sind. Stattdessen haben diese „Autonomen“ ein eigenes Treffen veranstaltet.

Ein ESF, das Gewerkschaften und linke Parteien ausschließt, schneidet die Bewegung von Millionen Menschen ab, die unzufrieden mit der herrschenden Politik sind. Damit die Bewegungen gegen Krieg, Rassismus und Konzernherrschaft erfolgreich sein können, müssen sie aber diese Millionen für gemeinsamen Widerstand gewinnen.

Zu Recht kritisieren einige Aktivisten, dass die Vorbereitung der Sozialforen seit zwei Jahren oft undemokratisch, nicht repräsentativ und zu chaotisch verläuft. Das zu verbessern, ist die gemeinsame Aufgabe aller, die die nächsten Sozialforen zum Erfolg machen wollen. Dazu muss das ESF mehr und größere Kräfte einbeziehen und die politischen Auseinandersetzungen offen austragen ohne die Einheit in Frage zu stellen.
Je mehr Menschen mobilisiert werden, desto mehr können sich mit linken Ideen beschäftigen: In London kamen am Samstag um 9 Uhr 1000 Menschen zusammen, um an der Veranstaltung „Jenseits des Kapitalismus – was für eine Welt wollen wir?“ teilzunehmen.

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