Kein Arbeiter- und Bauernstaat

Offiziell hatten die Arbeiter die Macht in der DDR. Tatsächlich herrschte aber die Parteibürokratie.

 

Standpunkt: Sozialismus von unten

Die DDR war keine sozialistische Gesellschaft. Karl Marx schrieb: „Die Befreiung der Arbeiterklasse muss das Werk der Arbeiterklasse selbst sein“. In der DDR wurden die Arbeiter aber unterdrückt. Doch woanders gab es schon Ansätze für wirklichen Sozialismus.
In Revolutionen haben Arbeiter immer wieder ihre Betriebe besetzt und Räte gebildet – so 1918 beim Sturz des deutschen Kaisers oder 2000 als Milosevic in Jugoslawien gestürzt wurde. In den Räten haben die Arbeiter demokratisch über ihre Politik entschieden.
In jeder großen Bewegung bilden sich diese Strukturen der Selbstorganisation und Selbstverwaltung heraus. Als vor zwei Jahren in Argentinien die Regierung von einer Massenbewegung aus dem Amt gejagt wurden, trafen sich die Menschen in Nachbarschaftsversammlungen, so genannten Assambleas. Ein Beobachter schrieb: „Sie fordern Medikamenten für die örtlichen Apotheken; unterstützen die Arbeiter, die um den Erhalt ihrer Betriebe kämpften; gehen zu Supermärkten, um Nahrungsmittel zu verlangen, und zu Banken, um darauf zu bestehen, dass den Beschäftigten im öffentlichen Dienst die Gehälter ausbezahlt werden“. Von Schließung bedrohte Fabriken wurden von den Beschäftigten besetzt und die Produktion in eigener Regie weitergeführt.

 

Hintergrund: Die Planwirtschaft der SED

In der DDR sollten 5-Jahres-Pläne die Wirtschaft steuern, um die blinde Konkurrenz des westlichen Kapitalismus zu überwinden. Stattdessen regierte in der DDR jedoch das Chaos einer bürokratischen Kommandowirtschaft. Die undemokratische Festlegung der Planziele an der Staats- und Parteispitze führte zu einer immensen wirtschaftlichen Verschwendung. Betriebsdirektoren fälschten ihre Bilanzen, um die ehrgeizigen Pläne auf dem Papier zu erfüllen. Arbeiter versuchten die Normen mit möglichst wenig Aufwand zu erfüllen. Auch in einer demokratischen Planwirtschaft wird es notwendig sein, Entscheidungen oberhalb der Betriebsebene zu treffen. Aber diese Entscheidungen würden von Delegierten oder Räten diskutiert und getroffen, die den Arbeitern verantwortlich sind und daher in ihrem Interesse planen. Eine solche demokratische Planwirtschaft, in der die Produzierenden auch gleichzeitig Planende sind, gab es in der DDR nicht.

Nach den Funktionären der Staatspartei SED war die DDR ein „Arbeiter- und Bauernstaat“. Auch Politiker im Westen behaupten bis heute, dass der Ostblock sozialistisch gewesen sei, um den Kapitalismus als einzige Alternative darzustellen.

Tatsächlich hatte die DDR nichts mit Sozialismus zu tun. Die angeblich herrschenden Arbeiter waren von allen wichtigen wirtschaftlichen und politischen Entscheidungen ausgeschlossen. Nach einer Umfrage in einem DDR-Kombinat fühlten sich 1989 82 Prozent der Befragten auf Betriebsebene „kaum vertreten“, in der Politik des Landes sogar 90 Prozent. Bis 1990 gab es keine freien Wahlen.

Die DDR war ein Satellitenstaat der Sowjetunion. Dort hatte zwar 1917 die erste erfolgreiche Arbeiterrevolution der Geschichte stattgefunden. Aber diese Arbeiterdemokratie scheiterte gleich nach der Revolution, weil diese in anderen europäischen Ländern ausblieb und so das wirtschaftlich rückständige Land isoliert blieb. Hinzu kamen große Armut und Millionen Tote durch den Bürgerkrieg von 1918 bis 1920.

Auf den Trümmern der Revolution wurde unter Stalin bis zum Ende der 20er Jahre eine brutale Diktatur errichtet. Die wirtschaftliche Macht der Großgrundbesitzer und Industriellen, die in der Revolution enteignet worden waren, übernahm nun die neue Staatsbürokratie um Stalin. Als herrschende Klasse bestimmte sie – und nicht etwa die Bevölkerung – was und wie produziert wurde. Die Parteibürokratie führte das Land wie ein kapitalistisches Unternehmen.

Dieses Modell des „bürokratischen Staatskapitalismus“ übertrug die Sowjetunion nach ihrem Sieg im Zweiten Weltkrieg auf die DDR und andere osteuropäische Staaten. In Ostdeutschland fand keine Revolution statt. Der angebliche „Sozialismus“ wurde von oben mit den Panzern der sowjetischen Armee eingeführt. Bewegungen von unten wurden bekämpft. Die nach Kriegsende in verschiedenen Städten gebildeten antifaschistischen Komitees ließ Walter Ulbricht, der von der Sowjetunion eingesetzte Parteiführer der neuen Staatspartei SED, auflösen.

Am 17. Juni 1953 erhoben sich die Arbeiter mit einem Generalstreik gegen die Parteiherrschaft. Nur sowjetische Panzer konnten die SED-Bonzen an der Macht halten. Der Aufstand wurde brutal niedergeschlagen. Mindestens 58 Menschen wurden dabei ermordet.

Auch danach unterdrückte das Regime die Bevölkerung. Um zu verhindern, dass die Menschen zu hunderttausenden das Land verlassen, ließ die Parteibürokratie 1961 die Berliner Mauer bauen. Bis zum Ende der DDR durften nur Rentner in den Westen reisen. Der Geheimdienst Stasi hat tausende Kritiker der SED bespitzelt, ins Gefängnis geworfen und ermordet.

In den Ostblock eingebunden stand die DDR in Konkurrenz zum westlichen Kapitalismus. Diesem Konkurrenzkampf wurde alles untergeordnet. Die Arbeiter wurden noch stärker ausgebeutet als in Westdeutschland. Die durchschnittliche Wochenarbeitszeit in der DDR lag bei knapp 44 Stunden, bei lediglich zwei Wochen Urlaub im Jahr.

In der DDR wurde nicht nach den Bedürfnissen der Menschen produziert, das eigentliche Kennzeichen einer sozialistischen Gesellschaft, sondern um auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig zu sein. Der Staat gehörte zu den 20 größten Industrienationen der Welt. Er baute moderne Waffen und schickte Astronauten ins All. Gleichzeitig lebten 45 Prozent der Rentner unter der Armutsgrenze.

Die Staatsbürokratie steckte Milliarden in die Entwicklung eines angeblich „volkseigenen 32-Bit-Prozessors“, aber die Produktion einfacher Konsumgüter blieb auf der Strecke: Obst, Haushaltsgeräte oder Fahrzeugersatzteile. Während es 1988 in fast jedem westdeutschen Haushalt Farbfernsehen, Auto und Telefon gab, besaßen nur 50 Prozent der Ostdeutschen Auto und Farbfernsehen. Telefon gab es nur in 15 Prozent der Haushalte.

Die Mangelsituation galt nicht für die kleine Schicht von Staatsbürokraten. Sie besaßen zahlreiche Privilegien. Mussten die meisten Menschen in Plattenbausiedlungen oder verfallenden Altbauwohnungen leben, so besaßen die SED-Bonzen Villen auf dem Land. War der Trabant der „PKW des kleinen Mannes“, auf den man über 12 Jahre warten musste, fuhren die Parteioberen mit schicken Westautos herum.

Angesichts von sozialem Niedergang und Unterdrückung verwundert es kaum, dass 1989 kein einziger Arbeiter einen Finger gekrümmt hat, um seinen Staat zu retten.

Dieser Beitrag wurde unter DDR, Geschichte veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.