Das Werkzeug der Bosse

Die deutsche Wirtschaft fordert, die Politik von Thatcher und Reagan nachzuholen. Christine Buchholz zeigt, dass es eine Politik für Konzerne und gegen die Menschen war.


Die „eiserne Lady“ schlägt zu: Willkürliche Verhaftung eines britischen Bergarbeiters, Februar 1985

Standpunkt: Welcome back

Hans-Olaf Henkels Vorbilder sind Thatcher und Reagan. Unser Vorbild sind die, die sie bekämpft haben, wie die Bergarbeiter in Großbritannien 1984.
Die Arbeiterbewegung hat in den 80ern schwere Niederlagen erlitten. Doch in den USA meldete sich die Arbeiterklasse 1997 mit landesweiten Streiks bei UPS, Verizon und Boeing zurück. Auch die „illegalen“ Putzfrauen in Kalifornien haben gestreikt. Diese Kämpfe ermutigten weitere soziale und politische Bewegungen, die ihren Höhepunkt 1999 bei den Protesten gegen die Welthandelsorganisation in Seattle feierten.
In Großbritannien gewinnen nach Jahren des Niedergangs einige kämpferische Gewerkschaften wieder mehr Mitglieder, so die Transportarbeitergewerkschaft RMT und die Dienstleistungsgewerkschaft Unison. Durch einige erfolgreiche Streiks wurde die Gewerkschaftsbewegung in den letzten Jahren gestärkt.

„Wir Deutschen könnten uns glücklich schätzen, hätten wir eine ‚eiserne Lady’ oder einen Ronald Reagan gehabt“, erklärt uns Hans-Olaf Henkel dieser Tage in der Bild. Er war von 1995 bis 2000 Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie und forderte bereits 1996, den Sozialabbau schneller voranzutreiben und „Schluss mit der Salamitaktik“.
Als die „eiserne Lady“ Margaret Thatcher 1979 britische Premierministerin wurde, war es ihr Ziel, die Macht der Gewerkschaften zu brechen, Steuern für Reiche zu senken und die Staatsbetriebe zu privatisieren. Als Erstes beschloss sie Massenentlassungen in der Stahlindustrie, ohne mit den Gewerkschaften auch nur zu sprechen. Nach einem Streik gab die Gewerkschaftsführung nach. Die Stahlindustrie wurde privatisiert.
1980 verbot Thatcher Solidaritätsstreiks. Die Regierung strich Löhne und Arbeitsplätze von Beamten, Beschäftigten im Gesundheitswesen und in der Wasserversorgung sowie von Bahnarbeitern. Viele Arbeiter wehrten sich. Doch die Gewerkschaftsführung beendete den Widerstand meist, bevor er richtig begonnen hatte.
Nach ihrem erneuten Wahlsieg 1983 griff Thatcher die stärkste britische Gewerkschaft an: die Bergarbeitergewerkschaft NUM. Im März 1984 beschloss die Regierung die Stilllegung eines Bergwerkes in Cortonwood, wo die NUM für ihre Kampfkraft bekannt war.
Nach Cortonwood wurden 19 weitere Zechen geschlossen. 20.000 Arbeitsplätze standen auf dem Spiel. Die Polizei gründete eine spezielle Einheit zum Niederschlagen von Streiks.
Thatcher glaubte, den Widerstand der Arbeiter in einigen Wochen brechen zu können. Aber die Gewerkschaft weitete die Streiks aus. Solidaritätskomitees wurden gegründet. Die Regierung brauchte ein Jahr, die Bergarbeiter zu schlagen.
165.000 Bergarbeiter beteiligten sich am Streik. 11.312 Menschen wurden verhaftet, 5.633 vor Gericht gestellt, 200 ins Gefängnis geworfen. Bei den Kämpfen hat die Polizei mehrere Menschen ermordet.
Nach dem Sieg gegen die Bergarbeiter trieb Thatcher die Privatisierung der Telefon-, Gas-, Strom- und Wasserbetriebe sowie des Gesundheitswesens voran. 1988 halbierte sie den Spitzensteuersatz von 83 auf 40 Prozent.
Millionen Menschen wurden durch diese Politik ins Elend getrieben. Anfang der 80er Jahre lebte 1 Prozent der Briten unterhalb der Armutsgrenze. 1993 waren es 21 Prozent.
Thatcher wies jede Verantwortung von sich: „Es gibt keine Gesellschaft, es gibt nur Individuen“, behauptete sie, um den Armen selbst die Schuld in die Schuhe zu schieben.
Die Politik von Thatcher führte auch Präsident Reagan ab 1981 in den USA. Bis zum Ende seiner Regierungszeit 1989 senkte er den Spitzensteuersatz von 70 auf 28 Prozent.
Im August 1981 bekämpfte Reagan Fluglotsen, die für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen streikten. 85 Prozent der Fluglotsen waren Mitglied der Gewerkschaft. 95 Prozent hatten dem Streik zugestimmt und 13 von 17.000 Lotsen hatten die Arbeit niedergelegt.
Reagan ließ die Streikführer verhaften und die Streikenden entlassen. Er befahl der US-Armee ihre Arbeit zu übernehmen, um den Streik wirkungslos zu machen.
Obwohl in den folgenden Monaten hunderttausende gegen Reagan demonstrierten, war die Widerstandskraft der Gewerkschaften gebrochen. Nach diesem Schock organisierten sie 16 Jahre lang in den USA keinen landesweiten Streik mehr.
Danach hatte es die Regierung leicht, Tarifverträge und Sozialversicherungen abzuschaffen. Die Bosse konnten die Löhne der Arbeiter über Jahre einfrieren. Reagan verkaufte Staatsunternehmen und gab 636 Milliarden Euro für die Armee aus.
Auch in den USA litten Millionen unter dieser Politik: Die US-Amerikaner hatten vor 20 Jahren noch die höchste Lebenserwartung der Welt. Heute liegen sie bei Frauen auf Rang 19 und bei Männern auf Rang 28. Der Grund ist, dass die Gesundheitsversorgung in den USA für Arme kaum besser ist als in der Dritten Welt. In Harlem in New York sterben die Menschen durchschnittlich früher als in Bangladesch, einem der ärmsten Länder der Welt.
Neben den Gewerkschaften bekämpfte Reagan vor allem die Schwarzenbewegung. Um sie zu schwächen, führte die Regierung unter anderem einen „Krieg gegen Drogen“, der in Wirklichkeit gegen arme Schwarze gerichtet war. Der Besitz von 5 Gramm der unter Schwarzen verbreiteten Droge Crack, wurde mit fünf Jahren Gefängnis bestraft. Die Polizei durfte 90 Prozent des Vermögens von Verhafteten beschlagnahmen, auch wenn sie nicht verurteilt waren.
Schwarze Amerikaner sind durchschnittlich nicht öfter drogenabhängig als weiße. Dennoch warf die Polizei siebenmal mehr Schwarze wegen „Drogenkriminalität“ ins Gefängnis wie Weiße.
Bei Reagans Amtsantritt hatte der Staat 300.000 Menschen ins Gefängnis gesperrt. 1992 waren es 1,3 Millionen.
Als Thatcher und Reagan die Regierung in zwei der größten Wirtschaftsmächte übernahmen, war die Weltwirtschaft zuvor in mehrere Krisen geraten. Das Wachstum aus den 50er und 60er Jahren ist bis heute nie wieder erreicht worden.
Weil die Profite sanken und die Konkurrenz schärfer wurde, wollten sich britische und US-amerikanische Konzerne Vorteile sichern. Thatcher und Reagan waren das Werkzeug dazu.
Heute wollen die deutschen Bosse dieselbe Politik durchsetzen: Die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Konzerne soll auf Kosten der Menschen erhöht werden, indem der Widerstand der Gewerkschaften gebrochen wird.
In den USA muss heute jeder durchschnittlich 400 Stunden im Jahr mehr arbeiten als in Deutschland. Mit Arbeitszeitverlängerungen, Nullrunden und der Schaffung eines Billiglohnsektors wollen die deutschen Bosse diesen Wettbewerbsvorteil ihrer US-Kollegen aufholen.
Kohl ist damit in den 90er Jahren am Widerstand der Gewerkschaften gescheitert. Was der CDU-Kanzler nicht geschafft hat, soll unter Rot-Grün erreicht werden. Henkels Nachfolger Rogowski wünscht sich gar ein „Lagerfeuer, um das Betriebsverfassungsgesetz und die Tarifverträge hineinzuwerfen.“

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