Regierungen und Gewerkschaften nur noch Kellner des Kapitals?

Kaum ein Tag vergeht, an dem ein Regierungsvertreter oder ein Industriemanager von der Globalisierung der Weltwirtschaft spricht und damit seine Forderungen nach Lohn- und Sozialabbau begründet. Dies sei nötig, um die Investitionsbedingungen zu verbessern, da sonst immer mehr Arbeitsplätze uns Ausland Verlagert würden.

Die Politik muß für global agierende Konzerne die besten Rahmenbedingungen anbieten. Die Deutschen können es sich künftig nicht mehr leisten, doppelt soviel Urlaub zu machen wie andere. Schul- und vor allem Studienzeiten müssen verkürzt, die Dienstleistungen der Hochschulen und auch der Krankenhäuser kommerzialisiert werden, und der Staat muß sich auf seine Kernkompetenzen beschränken, an erster Stelle innere Sicherheit. [1]

Innerhalb der SPD sind diese wirtschaftsliberalen Positionen von Gerhard Schröders Wirtschaftsberater in Niedersachsen, Alfred Tacke, zwar heftig umstritten, aber viele glauben eine Entwicklung beobachten zu können, die den Handlungsspielraum von sozialdemokratischer Wirtschafts- und Sozialpolitik sowie die Gegenwehr von Gewerkschaften einengen oder sogar ganz zunichte machen würde.

Sozialdemokratische Politik in aller Welt muß jetzt verhindern, daß die Globalisierung der Märkte die sozialen Sicherungssysteme zerstört. Dazu müssen – zunächst innerhalb der Europäischen Union und im zweiten Schritt gemeinsam mit den USA und Japan – Mindeststandards bei Sozialleistungen und Unternehmenssteuern politisch festgelegt werden. Sonst wird die rigorose Umverteilung zu Lasten der Arbeitnehmer weitergehen. [2]

In diesem Vorschlag von Oskar Lafontaine, der auch nach wochenlanger Diskussion nur halbherzig von der Parteiführung mitgetragen wird, schwingt im letzten Satz eine unheilvolle Drohung mit. Der für solche internationalen Vereinbarungen Werbende wird kaum davon ausgehen, daß derartige Regelungen tatsächlich zustande kommen. Es ist vielmehr wahrscheinlicher, daß mit dem vorprogrammierten Scheitern dieser Bemühungen stattdessen die Begründung für eine Wirtschafts- und Sozialpolitik geliefert wird, wie sie Gerhard Schröder schon seit langem offensiv vertritt.

Was steckt also wirklich hinter der sogenannten Globalisierung? Hat der Kapitalismus tatsächlich ein Entwicklungsstadium erreicht, das die Bedeutung von Nationalstaaten erheblich schmälert und damit die sozialpolitischen Gestaltungsmöglichkeiten von Regierungen gegen Null tendieren läßt? Ist die Arbeiterklasse erpreßbarer geworden, weil die Kapitalisten bei hohen Lohnkosten in zunehmendem Maße die Produktion kurzerhand ins Ausland verlegen?

Die seit Mitte der siebziger Jahre von kurzen Unterbrechungen abgesehen ständig steigende Massenarbeitslosigkeit hat der These von der Globalisierung der Weltwirtschaft als Ursache dafür immer neue Anhänger zugeführt. Hinter dem Begriff vom Globalisierungsprozeß steht die Annahme, daß der Kapitalismus in eine neue Entwicklungsphase eingetreten sei. Die Kapitalisten hätten heute im Gegensatz zu früher generell die Möglichkeit, dort zu investieren, wo die Löhne am niedrigsten sind, wo kaum Arbeits- und Umweltschutzbestimmungen existieren und wo ihnen die jeweiligen Regierungen mit dem Verzicht auf Steuern am weitesten entgegenkommen.

Während die sogenannten multinationalen Konzerne noch ganz eindeutig bestimmten Staaten zuzuordnen waren, so die Theoretiker von der Globalisierung der Weltwirtschaft, seien diese Konzerne heute nicht mehr auf eine Schaltzentrale in einem Land festgelegt. Die Kapitalisten würden sich die günstigsten Orte für ihre Investitionen nach belieben aussuchen, um sich dort das notwendige technische Wissen und die entsprechenden Arbeitskräfte einzukaufen.

Der Frankfurter Politologe Joachim Hirsch ist einer der Verfechter dieser Theorie und faßt die sozialpolitischen Folgen aus seiner Sicht wie folgt zusammen:

Der Staat hat infolge des Globalisierungsprozesses einen wesentlichen Teil seines interventionistischen Instrumentariums eingebüßt und Standortsicherung, d.h. die Herstellung optimaler Verwertungsbedingungen für das internationale Kapital in der zwischenstaatlichen Konkurrenz ist zur politischen Leitmaxime geworden. Dies bedeutet eine Rücknahme sozialer Sicherungen, die Forcierung gesellschaftlicher Spaltungsprozesse und der Verzicht auf umgreifende Massenintegrationsstrategien. [3]

Die Einflußmöglichkeiten des Staates, auf die Hirsch hier anspielt, sind immer Illusionen gewesen, die besonders von den Anhängern des Keynesianismus gepflegt worden sind. Nicht nur in Deutschland waren die sozialdemokratischen Regierungen nicht in der Lage, die Krisen des Kapitalismus und die Massenarbeitslosigkeit zu bekämpfen. Das Scheitern der Sozialdemokraten hatte seine Ursachen nicht in einer massiven Kapitalflucht etwa vor höherer Besteuerung oder schärferen Umweltauflagen, sondern darin, daß die staatlichen Konjunkturprogramme zur Krisenbekämpfung nur kurze Strohfeuer entfachten und den nächsten Konjunktureinbruch nicht verhindern konnten.

Aber davon einmal abgesehen, würde eine Globalisierung, wie sie von Hirsch und anderen als Charakterisierung des heutigen Kapitalismus vertreten wird, bedeuten, daß sich die Kräfteverhältnisse ganz entscheidend zu Lasten der Arbeiterklasse und ihrer Gewerkschaften verschoben hätten. Nichts von dem, was in den ersten Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg erkämpft worden ist, wäre auf lange Sicht noch zu verteidigen, weil in den meisten Ländern wesentlich schlechtere soziale Absicherungen tarifvertraglich festgeschrieben sind, erheblich niedrigere Löhne gezahlt werden und weil auch in diesen Ländern die gleiche Abwärtsspirale zu beobachten ist wie in Deutschland. Deswegen ist die Frage, ob die These von der Globalisierung einer genaueren Betrachtung standhält, von so großer Bedeutung.

 

Schwellenländer

Der Kapitalismus hat sich bereits in den vergangenen 100 Jahren zu einem die ganze Welt umspannenden System entwickelt. Relativ neu ist, daß es in einigen unterentwickelten Gebieten heute Länder gibt, die nach dem Fall der alten Kolonialunterdrückung einen Industrialisierungsprozeß von sehr unterschiedlicher Intensität durchlaufen haben.

In einer ganzen Reihe von Staaten, den sogenannten Schwellenländer wie zum Beispiel Brasilien, Mexiko, Korea, Singapur und Malaysia, ist in den zurückliegenden 30 bis 40 Jahren von den dortigen herrschenden Klassen mit eiserner Faust diese Industrialisierung vorangetrieben worden. Die politischen Rahmenbedingungen und ökonomischen Voraussetzungen für diese Politik waren in den einzelnen Ländern sehr unterschiedlich, aber die Methoden waren überall sehr ähnlich.

Niedrige Löhne und lange Arbeitszeiten bildeten die Grundlage für eine hohe Ausbeutungs- und damit hohe Akkumulationsrate, die von der herrschenden Klasse in Verbindung mit einer zentralistischen Planwirtschaft dazu benutzt wurde, die notwendige Infrastruktur für den Aufbau weiterer Industrieunternehmen zu finanzieren. Charakteristisch für diese Länder ist, daß Gewerkschaften entweder ganz verboten oder durch Gesetze in ihrer Interessenvertretung sehr stark beschnitten waren und zum größten Teil immer noch sind.

Seit Jahrzehnten werden besonders lohnintensive Tätigkeiten aus den hochindustrialisierten Ländern dorthin verlagert. Den Anfang machte die Textil- und Bekleidungsindustrie, gefolgt von der Elektronik- und Automobilindustrie. Nicht alle diese Schwellenländer sind auf der Stufe einer verlängerten Werkbank stehengeblieben, doch nur einige wenige wie zum Beispiel Südkorea [4] verfügen heute über eine eigene Industrie, die in Teilbereichen wie dem Schiffs- und Automobilbau auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig ist.

Andere Länder wie Brasilien oder Mexiko sind heute hoch verschuldet und immer noch verlängerte Werkbänke oder Rohstofflieferanten der US-amerikanischen, japanischen oder europäischen Konzerne. Die Niederlassungen in diesen Schwellenländern erreichen bis heute nicht die Produktivität und die Qualität der Hauptwerke. Die durchrationalisierte Produktion ohne Lagerhaltung, die zuerst in Japan entwickelt wurde und heute auch in Westeuropa zum Standard vor allem in der Automobilindustrie gehört, ist nicht nur auf ein dichtes Netz von Zulieferbetrieben, sondern auch auf eine gut ausgebaute und zuverlässige Verkehrsinfrastrukur angewiesen.

Die Schaltzentrale des japanischen Kapitalismus, das Ministerium für Internationalen Handel und Industrie (MITI), veröffentlichte erst vor kurzem eine Studie, in der festgestellt wird, daß die Verlagerung von Produktion ins Ausland dazu führen kann,

daß die Qualität von Forschung und Entwicklung leiden könnte, weil die Produkte, die in Übersee hergestellt werden, im wesentlichen in Japan entwickelt wurden. Sollten sich aber die Beziehungen zwischen der Fertigung in Übersee und den Entwicklungszentren in Japan zunehmend lockern, könnten sie das Niveau von Forschung und Entwicklung ungünstig beeinflussen. [5]

Gerade die enge Verzahnung von Produktion und Entwicklung ist bisher die Stärke der japanischen Automobilindustrie gewesen, weil viel früher als in Europa und den USA der Abbau von innerbetrieblichen Hierachien als Chance begriffen wurde, Probleme im Produktionsablauf und Schwächen an den Autos schneller als die Konkurrenz zu bemerken und zu beseitigen.

Das sind einige Gründe, die erklären, warum nicht bereits in den letzten Jahrzehnten die Industrieproduktion massenhaft in sogenannte Billiglohnländer ausgelagert worden ist. Ein Blick auf die Entwicklung der Beschäftigtenstruktur einiger der größten deutschen Konzerne zeigt, daß es in den letzten 25 Jahren aber dennoch erhebliche Veränderungen gegeben hat. Während in fast allen Konzernen die Beschäftigtenzahlen im Inland zum Teil erheblich zurückgegangen sind, stiegen sie gleichzeitig im Ausland überproportional an. Angesichts von über 6 Millionen Arbeitslosen und einem anhaltend starken Trend, im Ausland zu investieren, ist das eine Entwicklung, die bestens geeignet ist, Ängste zu schüren. (Tabelle 1)

Tabelle 1

Entwicklung der Beschäftigtenzahlen von deutschen Konzernen

im In- und Ausland 1971 und 1995 [6] (Angaben in Tausend)

Inland

Ausland

1971

1995

Veränderung

1971

1995

Veränderung

Siemens

234

211

–11%

72

162

+125%

BASF

  78

  64

–  8%

15

  43

+187%

VW

160

142

–11%

42

100

+138%

Hoechst

97

62

–36%

45

100

+122%

Während zu Beginn der siebziger Jahre noch 75 bis 90% der gesamten Belegschaft von deutschen Konzernen im Inland konzentriert waren, sank dieser Anteil bis 1995 auf nur noch 40 bis 60%. Ein direkter Zusammenhang zwischen der Massenarbeitslosigkeit in Deutschland und den Investitionen der deutschen Konzerne im Ausland ist aber dennoch nicht herzustellen.

Eine Gegenüberstellung des im Ausland investierten Kapitals und der Handelsbeziehungen nach Ländergruppen zeigt, daß drei Viertel des deutschen Außenhandels mit anderen Industrieländern abgewickelt werden und daß auch genau dorthin fast 90% des Kapitalexports in Form von sogenannten Direktinvestitionen gehen. In diesen Ländern ist die Arbeitslosigkeit trotz des Kapitalimports aus Deutschland teilweise sogar noch höher als hier. (Tabelle 2)

Tabelle 2

Außenhandel Deutschlands und Bestand der Direktinvestitionen

nach Ländergruppen für 1995 [7]

Import

Export

Direkt-

investitionen

Europäische Gemeinschaft

54,1%

56,7%

50,6%

USA

  7,0%

  7,5%

21,1%

andere Industrieländer

14,2%

11,7%

15,4%

Industrieländer insgesamt

75,3%

75,9%

87,1%

sogenannte Reformländer

wie China, Rußland etc.

11,6%

  9,8%

  2,7%

Entwicklungsländer und OPEC-

Länder sowie südostasiatische

Schwellenländer

12,1%

13,6%

10,2%

davon nur südostasiatische

Schwellenländer

  5,5%

  5,7%

  2,6%

Im Vergleich zu 1980 ist der prozentuale Anteil des Handels mit den sogenannten Entwicklungsländern, einschließlich der in der OPEC organisierten erdölfördernden Staaten und der Schwellenländer, bis heute beim Import von 27,7% auf rund 12 und beim Export von 22,1% auf rund 10% zurückgegangen, nachdem er bis dahin über Jahrzehnte kontinuierlich angestiegen war. In diesen Zahlen drückt sich aus, daß es neben einigen der sogenannten Schwellenländern, die sich Marktanteile in Deutschland erobern konnten, eine sehr viel größere Zahl von armen Ländern gibt, die im Laufe der letzten Jahre in ihrer wirtschaftlichen Entwicklung noch weiter zurückgefallen sind.

In den letzten Jahren hat besonders der Export nach China und Südostasien für Deutschland an Bedeutung gewonnen. Gegenüber 1992 stieg das Exportvolumen nach China um 86% während sich die Importe aus diesem Land nur um 37% erhöhten. Eine ähnliche Entwicklung gab es im Handel mit den südostasiatischen Schwellenländern. Die Exporte dorthin nahmen in den zurückliegenden vier Jahren um 60% zu, die Importe nur um bescheidene 14%. Im gleichen Zeitraum weitete sich der gesamte Auslandshandel Deutschlands in wesentlich geringerem Umfang aus, beim Import stagnierte er fast, und der Export legte um 9% zu.

 

Kapitalexport

Obwohl es in einer Vielzahl von Ländern eine unübersehbare Schar von billigen Arbeitskräften gibt, ist die Neigung der Kapitalisten in Deutschland, sich das zunutze zu machen, sehr gering. Sie konzentrieren sich mit ihren Auslandsinvestitionen vielmehr auf die Länder, in die bereits seit Jahrzehnten der größte Teil der Warenexporte gegangen ist. Der Kapitalexport folgt dabei den Verbindungen und Beziehungen, die über den Warenexport entstanden sind.

Die massive Konzentration der wirtschaftlichen Beziehungen auf die hochindustrialisierten Länder prägt heute den Kapitalismus. Die Entwicklung neuer Produkte und neuer Fertigungstechniken ist mit steigenden Kosten verbunden, da die hohe Produktivität ebenso wie die technisch immer anspruchsvolleren Produkte entsprechend lange Entwicklungszeiten benötigen. Deswegen gehen die Konzerne über die Landesgrenzen hinweg zum gegenseitigen Nutzen strategische Bündnisse auf Zeit ein, um sich Entwicklungskosten zu teilen oder um partiell und befristet die Konkurrenzsituation aufzuheben mit dem Ziel, höhere Preise erzielen zu können.

Deswegen ist der Kapitalexport in Form von Direktinvestitionen in die USA im Vergleich zur Warenausfuhr etwa dreimal so hoch. Hierin drückt sich auf der einen Seite das Bemühen des deutschen Kapitals aus, durch Übernahmen, Beteiligungen und Aufbau von Zweigwerken den dortigen riesigen Binnenmarkt noch weiter für sich zu erschließen, und auf der anderen Seite das Bestreben des US-Kapitals, sich durch Zölle vor Warenimporten zu schützen, die den eigenen Profit schmälern.

Die Produktionsverlagerung in die USA ist die einzige Möglichkeit für deutsche und andere ausländische Kapitalisten, diese Importzölle oder direkten Handelsbeschränkungen zu umgehen und sich von den Schwankungen des Dollarkurses unabhängig zu machen. In einem Interview begründete der BMW-Chef Eberhard von Kuenheim 1992 die Entscheidung, in den USA ein großes Tochterwerk aufzubauen, wie folgt:

Wir gehen in die Vereinigten Staaten aus einer Vielzahl von Gründen. Das ist vor allem eine marktstrategische Entscheidung, die wir für unsere Aktivitäten auf den Weltmärkten für wichtig halten. Darüber hinaus spielt dann natürlich die Entwicklung des Wechselkurses zwischen Dollar und Mark eine Rolle sowie die Diskussion um Handelsbeschränkungen in den USA. [8]

Dem Kapitalexport nach Südostasien und China wird, gemessen am Handelsvolumen, ein viel geringerer Stellenwert beigemessen. Diese Gewichtung unterstreicht, daß es beim Kapitalexport nicht vorrangig darum geht, die Produktion in Länder zu verlagern, in denen das Lohnniveau wesentlich niedriger ist als in Deutschland.

Das bedeutet nicht, daß dem Kapitalexport in die sogenannten Schwellenländer keine wachsende Bedeutung zukommt. Aber dabei geht es eben nicht vorrangig um die Verlagerung von lohnintensiven Produktionszweigen, sondern um die Ausweitung und Sicherung von Absatzmärkten, ein Unterfangen, bei dem im Prinzip mit den gleichen Schwierigkeiten zu rechnen ist wie auf dem heimischen Binnenmarkt, wie das Beispiel von Daimler-Benz in Brasilien zeigt.

Im letzten Jahr wurden dort 1.600 der 16.300 Automobilarbeiter bei Mercedes-Benz do Brasil entlassen, weil sich der Absatzmarkt für Lastwagen und Omnibusse in Südamerika nicht so wie gehofft entwickelt hatte und weil rationalisiert werden sollte, um die Produktivität zu erhöhen. [9] Daraufhin kam es zu größeren Protesten der Belegschaft. Wäre es dem Management des Konzerns bei dem Aufbau der Nutzfahrzeugherstellung in Brasilien um eine Produktionsverlagerung gegangen, dann hätte es sich angeboten die ungenutzten Kapazitäten für den Export von dort nach Deutschland zu nutzen.

Das ist nicht geschehen, weil die Automobilproduktion in Deutschland profitabel ist. Das gilt auch für andere Branchen, denn sonst wäre der Anteil Deutschlands am gesamten Welthandel seit Jahrzehnten trotz der relativ hohen Löhne und relativ kurzen Arbeitszeiten nicht so hoch. Dieser Anteil lag 1970 bei 11% sank 1981 auf 8,9% stieg Ende der achtziger Jahre auf über 12% an und lag 1995 bei 10,8%. [10] Eine Betrachtung des deutschen Außenhandels zeigt außerdem, daß alle Länder mehr deutsche Waren importieren, als sie selbst nach Deutschland exportieren.

Zu den Ländern mit einer solchen negativen Handelsbilanz gehören auch die sogenannten Schwellenländer in Südostasien. Die jüngste Entwicklung zeigt ganz deutlich, daß nicht sie es sind, die den europäischen, japanischen und US-amerikanischen Konzernen die Schlagzahl vorgeben, sondern daß sie sich in einer viel schwächeren Position befinden und daß davon unter anderem die deutschen Kapitalisten profitieren.

Um bei der Infrastruktur und Energieversorgung aufzuholen, können die Tigerstaaten in der nächsten Zeit kaum auf kräftige Importe verzichten. … Bisher konnten die asiatischen Schwellenländer ihren Importhunger weitgehend mit den Devisen finanzieren, die boomende Exporte in ihre Kassen spülten. Doch die weltweite Nachfrage nach den Exportprodukten der Region lahmt. Vor allem der Einbruch bei den Elektronikartikeln macht den Staaten zu schaffen … Vor allem schwindet ein Wettbewerbsvorteil: die niedrigen Arbeitskosten. Der Arbeitskräftemangel ließ die malayischen Löhne im vergangenen Jahr dreimal so stark steigen wie die Arbeitsproduktivität. [11]

 

 

Warenexport

Hinter den USA nimmt Deutschland noch vor Japan den zweiten Platz in der Exportstatistik unter den Welthandelsländern ein. Erst vor kurzem triumphierte ein konservativer Wirtschaftsjournalist:

Deutschland ist wieder Vizeweltmeister im Export. Trotz Aufwertung der D-Mark haben die Unternehmen ihre Position auf dem Weltmarkt gefestigt und ihren Abstand zur europäischen Konkurrenz vergrößert. Sie haben sogar Japan in die Schranken verwiesen und auf den asiatischen Wachstumsmärkten Terrain gewonnen. [12]

Der Warenexport und vor allem die ständig wachsende Bedeutung des Kapitalexports für Deutschland können nicht isoliert von der allgemeinen Entwicklung des Kapitalismus betrachtet werden.

In nur zehn Jahren von 1960 bis 1970 nahm der Bestand der Direktinvestitionen von deutschen Firmen im Ausland um 18 Milliarden von 3,1 auf 21,1 Milliarden Mark zu. Das ist eine Versiebenfachung, während sich im gleichen Zeitraum der Export nur um das 2,5fache erhöhte. [13]

Der steigende Bestand an Direktinvestitionen im Ausland als Folge des Kapitalexports ist also kein neues Phänomen, sondern zieht sich durch die ganze Entwicklung des Kapitalismus nicht nur in Deutschland, hat aber nach dem Zweiten Weltkrieg noch mehr als der Export ganz erheblich an Bedeutung gewonnen. (Tabelle 3)

Tabelle 3

Bestand an Direktinvestitionen deutscher Kapitalisten im Ausland

im Verhältnis zum Exportvolumen [14]

(in Millionen DM)

1960

1970

1980

1994

Warenexport

47.946

125.276

350.300

732.251

Bestand an

Direktinvestitionen

  3.162

  21.113

  83.000

398.300

Verhältnis Direkt-

investitionen/Export

    6,6%

  16,9%

  23,7%

  54,4%

Von 1960 bis heute ist außerdem der Anteil der Warenexporte am gesamten Bruttosozialprodukt von knapp 16% auf über 30% angestiegen. Es gibt heute also keine plötzlich anschwellende Fluchtbewegung von Kapital, das im Ausland nach profitablen Anlagemöglichkeiten im Produktions- oder Dienstleistungsbereich sucht. Die Kapitalisten versuchen vielmehr, über Beteiligungen konkurrierenden Unternehmen zu kontrollieren oder durch Aufkäufe deren Marktanteile zu übernehmen.

Der im Vergleich zum Warenexport überproportional wachsende Kapitalexport drückt die Konkurrenz auf den Weltmärkten aus. Der Entwicklungszeitraum von 1980 bis heute zeigt, daß sich diese Konkurrenzsituation verschärft hat, weil sich das Verhältnis von Kapital- zu Warenexport immer rascher zugunsten des Kapitalexports verschoben hat. Diese Veränderung ist die Folge der drei großen Wirtschaftskrisen seit Ende des Zweiten Weltkrieges von 1975, 1982 und 1993. Dem relativ langsameren Wachstum der Absatzmärkte stand ein viel höheres Wachstum an Produktionskapazitäten gegenüber. Damit verschärfte sich die Konkurrenz, die Profitraten gerieten unter Druck. Der Kapitalexport sollte dazu dienen, die eigene Wettbewerbssituation zu verbessern.

Eine Entwicklung, die nicht grundsätzlich neu ist und bereits kurz vor dem Ersten Weltkrieg von dem russischen Marxisten Nikolai Bucharin analysiert und zu Beginn des Krieges niedergeschrieben worden ist.

Erstens erfolgt die Akkumulation des Kapitals in einem unerhört schnellen Tempo, wenn eine großkapitalistische Produktion vorhanden ist, wenn der technische Fortschritt beständig mit Riesenschritten vorwärts marschiert und die Produktivität der Arbeit sich erhöht, wenn das Verkehrswesen sich außerordentlich entwickelt, wenn überhaupt die Zirkulationsmittel vervollkommnet werden und damit auch der Umschlag des Kapitals beschleunigt wird. Die Kapitalmassen, die Anlagen suchen, erreichen eine außerordentliche Größe.

Zweitens: das Bestehen hoher Zölle legt dem Eindringen von Waren die größten Hindernisse in den Weg. Die Massenproduktion, die massenhafte Überproduktion machen eine Zunahme des Außenhandels erforderlich, aber dieser stößt auf die Barriere der hohen Zollsätze. Zwar entwickelt sich der Außenhandel auch weiterhin, der auswärtige Absatz nimmt zu, aber alles erfolgt ungeachtet und trotz der Hindernisse. Daraus folgt keineswegs, daß die Zölle keinerlei Wirkung ausüben. Sie wirken vor allem auf die Profitrate. Während aber die Zollschranken dem Warenexport große Hindernisse entgegensetzen so stören sie den Kapitalexport keineswegs. [15]

Aber auch der Kapitalexport ist nicht völlig frei von Gefahren für die Profitinteressen der Kapitalisten. Alle Länder beäugen die Direktinvestitionen aus dem Ausland in den eigenen Grenzen sehr mißtrauisch und legen ihnen offene oder versteckte Beschränkungen auf, um nationale Schlüsselindustrien des eigenen Staates vor fremder Einflußnahme oder vor der Konkurrenz von stärkeren ausländischen Konzernen auf dem eigenen Binnenmarkt zu schützen.

Die Verfechter der Globalisierungsthese leugnen diesen Protektionismus nicht, sie plädieren aber vehement dafür, ihn fallen zu lassen. Wenn auf der einen Seite die Konzerne über Staatsgrenzen hinweg immer mehr die Vorteile zu nutzen versuchen, die ihnen die Kooperation mit anderen Konzernen bietet, oder, wenn möglich die Konkurrenz im Ausland aufkaufen, ihr durch Beteiligungen die eigene Geschäftsstrategie aufzwingen oder neue Produktionsanlagen im Ausland aufbauen, dann muß der Staat und der von ihm geschützte Binnenmarkt nicht nur immer mehr an Bedeutung verlieren. Er wird schließlich sogar zum Hindernis für eine Weiterentwicklung des Kapitalismus und gefährdet damit neben den Profiten auch die Grundlage für den Wohlstand der gesamten Bevölkerung, so ihre Argumentation.

Standorte von Siemens

Fertigungsstandorte des Siemens-Konzerns

Der Arbeitsminister der Clinton-Regierung, der Volkswirtschaftler Robert B. Reich, ist einer der Vertreter dieser These. Die scheinbar grenzenlose Mobilität von, wie er es nennt, finanziellem und intellektuellem Kapital, nimmt in seiner Theorie von der Globalisierung des Kapitalismus eine Schlüsselstellung ein.

Die alten multinationalen amerikanischen Unternehmen wurden von ihren amerikanischen Hauptquartieren aus dirigiert … Besitz und Kontrolle lagen unbestreitbar in amerikanischer Hand …

Diese Form der Kontrolle von oben und des zentralistischen Besitzes gibt es in den netzartigen Organisationen des Qualitätsunternehmens nicht. Hier fließen Macht und Reichtum den Gruppen zu, die im Lösen und Identifizieren von Problemen und in der strategischen Mittlertätigkeit die wertvollsten Fertigkeiten entwickelt haben. Solche Gruppen sind in zunehmendem Maße an vielen Orten der Welt außerhalb der Vereinigten Staaten zu finden …

Intellektuelles wie finanzielles Kapital kann von überallher kommen und augenblicklich eingesetzt werden. [16]

 

Spekulation

Diese Theorie abstrahiert von den Widersprüchen des Kapitalismus, die sich darin zeigen, daß nicht nur die internationalen Kapitalverflechtungen zunehmen, sondern parallel dazu auch die Bedeutung der Nationalstaaten für den internationalen Konkurrenzkampf der Kapitalisten wächst. Denn mit welcher wirtschaftlichen Stärke sie internationale Beziehungen eingehen können, die als Verflechtungen wahrgenommen werden, ist von entscheidender Bedeutung für ihre damit verbundene Gewinnerwartungen. Eine starke wirtschaftliche Position erhöht das Gewicht in Verhandlungen um Kooperationsvereinbarungen und Marktstrategien oder ermöglicht sogar die Ubernahme von Konkurrenzbetrieben im Ausland.

Die gewachsene Bedeutung der internationalen Finanzmärkte scheint nach einer sehr verbreiteten Ansicht jedoch genau das Gegenteil zu belegen.

Demnach ermöglicht erst die freie Fluktuation des Kapitals über alle nationalen Grenzen hinweg dessen optimale Verwertung. Ihr Zauberwort für diesen Vorgang heißt Effizienz. Gesteuert von der Suche nach dem höchsten Gewinn, soll das Sparvermögen der Welt stets dorthin fließen, wo es am besten eingesetzt wird.

Der finanzökonomische Kurzschluß zwischen den Staaten zwingt ihnen einen Wettlauf um niedrige Steuern, sinkende Staatsausgaben und Verzicht auf sozialen Ausgleich auf

So hat der Verzicht auf (Grenz-)Kontrollen im Kapitalverkehr eine verhängnisvolle Eigendynamik in Gang gesetzt, die systematisch die Souveränität der Nationen aushebelt[17]

Die Geschäfte von Devisen- und Aktienhändlern oder sogenannten Investmentfonds haben in der Vergangenheit immer wieder spektakuläre Auswirkungen gehabt. Banken drohte der Ruin, und Währungen gerieten unter Abwertungsdruck. Kleinste Kursschwankungen an den Börsen reichen den Spekulanten aus, um innerhalb weniger Minuten Millionengewinne oder Millionenverluste zu machen, so daß von Journalisten der Begriff des Kasino-Kapitalismus geprägt worden ist.

Im globalen Kasino herrscht wie in Las Vegas niemals Feierabend: Morgens eröffnet die Börse in Tokio, weiter geht s nach Hongkong, später nach Europa. Schließen Frankfurt und London, übernimmt New York – ein ewiger Kreislauf Die Summen, die dabei täglich bewegt werden, sind fast doppelt so hoch wie die Währungsreserven aller Zentralbanken. [18]

Diese Spekulationsgeschäfte spielen heute eine wesentlich größere Rolle als zu Beginn der achtziger Jahre, aber sie sind für die Kapitalistenklasse keineswegs die Quelle des Profits, denn er kann nur durch die Ausbeutung der menschlichen Arbeitskraft geschaffen werden.

Das Geldvermögen, das um den Globus vagabundiert und nach gewinnversprechenden Anlagemöglichkeiten sucht, ist der Teil des Kapitals, der nicht in den Ausbau von Produktionskapazitäten investiert wird, und der von den Kapitalisten nicht konsumiert werden kann. [19] Lohnsenkungen, flexiblere Arbeitszeiten, vermehrte Schichtarbeit sowie Steuervergünstigungen und Gesetzesreformen zugunsten der Kapitalisten, die seit Ende siebziger bzw. Anfang der achtziger Jahre in allen westlichen kapitalistischen Staaten durchgesetzt worden sind, haben in den letzten 15 Jahren zu einem raschen Anwachsen der Geldvermögen in den Händen der Kapitalisten geführt, während immer größere Teile der Arbeiterklasse in die Armut getrieben worden sind.

Höhere Gewinnerwartungen sollten zu höheren Wachstumsraten und mehr Arbeitsplätzen führen, doch die Arbeitslosenzahlen sind seitdem weiter gestiegen, und die letzte Wirtschaftskrise von 1993, die bis heute nicht überwunden ist, konnte damit ebenfalls nicht verhindert werden. Stattdessen sind riesige Privatvermögen entstanden, mit denen unter anderem auch auf den Finanzmärkten spekuliert wird.

Während einzelne Kapitalisten ihr Vermögen ausschließlich durch Börsenspekulationen oder Beteiligungen an Fonds verzinsen können, bleibt diese Möglichkeit der Klasse als Ganzer verschlossen, denn es gibt keinen Mangel an Kapital, sondern eine Knappheit an profitablen Anlagemöglichkeiten. Genau aus diesem Grund hat sich in Deutschland in den letzten Jahren und besonders seit der Krise von 1993 der Klassenkampf verschärft. Hätten die Kapitalisten soviele Investitionsmöglichkeiten auf der ganzen Welt, wie mit der These von der Globalisierung behauptet wird, dann wäre nicht verständlich, warum sie seit Jahren in Deutschland versuchen, die Löhne zu drücken, anstatt ihr Geld woanders anzulegen.

Weil es in Krisenzeiten nur begrenzte profitable Anlagemöglichkeiten für die Kapitalisten gibt, ist der Nationalstaat auch kein Anachronismus, sondern der Garant dafür, daß die entsprechenden wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen für die Ausbeutung der Arbeiterklasse wie zum Beispiel eine hochwertige Infrastruktur und der Schutz des Privateigentums an Produktionsmitteln im eigenen Land gesichert werden. Diese Bedingungen schaffen erst die Voraussetzungen, um international konkurrieren zu können. Ihre Absicherung basiert auf einem engen Vertrauensverhältnis zwischen Kapitalisten und „ihrem“ jeweiligen Staatsapparat, das von Generation zu Generation weitergegeben wird. Diese Strukturen sind ein Standortfaktor von unschätzbarem Wert für die Kapitalisten, den sie um keinen Preis aufgeben.

Die Beziehung zwischen den Kapitalisten und ihrem Nationalstaat hat sich verändert, seitdem immer größere Teile des Kapitals im Ausland angelegt werden. Es ist nicht der Staatsapparat mit seinen Ministern und Staatssekretären an der Spitze, der mit der sogenannten Globalisierung um seine Bedeutung fürchtet und sich mit Handelsbeschränkungen, Subventionierungen oder sogar militärischem Engagement zu beweisen sucht, es sind die Kapitalisten selbst, die ihm eine größere Bedeutung beimessen.

Edward N. Luttwak, Direktor am Zentrum für Internationale und Strategische Studien in Washington, faßt diese Entwicklung ganz treffend wie folgt zusammen:

Daß sich das Klima im Welthandel verschlechtert, ist nicht verwunderlich. Die internationale Wirtschaft wird zunehmend vom strategischen Kalkül einer Handvoll Staaten bestimmt, die bereits geo-ökonomisch und nicht mehr nur ökonomisch denken und handeln. … Heute untergräbt der geo-ökonomische Wettstreit um die industrielle Technologieführerschaft zwischen Amerikanern, Japanern und Europäern sehr rasch ihre alte Bündnissolidarität, und die Spannungen unter ihnen bekommen auch die anderen Handelsnationen zu spüren. [20]

Die sogenannte Globalisierung der Märkte wird von den Regierungspolitikern im Bund und in den Ländern als eine fadenscheinige Ausrede für immer neue Kürzungen im Sozialbereich benutzt. Die verschärfte internationale Konkurrenz schlägt voll auf die Wirtschafts- und Sozialpolitik in allen Ländern durch, unabhängig davon, ob sie von Sozialdemokraten oder Konservativen regiert werden.

Der zu Beginn zitierte Vorschlag Oskar Lafontaines, eine international verbindliche Sozialcharta zu vereinbaren, um eine weitere Zerstörung von Absicherungen und Senkung von Einkommen zu verhindern, erinnert an die während des Ersten Weltkriegs entwickelten Vorstellungen des deutschen Sozialdemokraten Karl Kautsky. Er versuchte nachzuweisen, daß der Kapitalismus mit der wachsenden internationalen Verflechtung ein Entwicklungsstadium erreicht habe, das die Überwindung von nationalstaatlicher Konkurrenz und der daraus resultierenden Kriegsgefahr ermöglichte. So wie heute Lafontaine hegte auch Kautsky die Illusion, daß der politische Wille .von Regierung ausreichen könnte, die zerstörerischen Kräfte des Kapitalismus zu bändigen.

… Kautsky und seine Anhänger sagen, daß der Prozeß der kapitalistischen Entwicklung selbst das Wachstum jener Elemente begünstige, auf die sich ein Ultraimperialismus stützen könnte; und zwar erzeuge die Zunahme der internationalen Verflechtung des Kapitals die Tendenz zur Aufhebung der Konkurrenz unter den verschiedenen nationalen kapitalistischen Gruppen. … So trete an die Stelle des raubgierigen Imperialismus der sanfte Ultraimperialismus.

Es erfolgt ein Prozeß der Verwandlung des in nationale Gruppen zersplitterten Kapitals in eine einheitliche Weltorganisation, in einen allgemeinen Welttrust[21]

 

Weltwirtschaftskrieg

Der erfolgreiche Versuch der Airbus-Industrie, ein Konsortium, an dem Frankreich, England, Spanien und Deutschland beteiligt sind, mit den beiden marktführenden US-amerikanischen Flugzeugherstellern Boeing und McDonnell-Douglas auf dem Weltmarkt zu konkurrieren, ist eines der bekanntesten Beispiele für die Bedeutung von staatlicher Subventionspolitik. Diese wurde gegen den erbitterten politischen Widerstand der US-Regierung durchgeführt, die um die Monopolstellung „ihrer“ beiden Flugzeugkonzerne fürchtete.

Die Entwicklung des Airbus A300, des ersten Flugzeugs des europäischen Firmenkonsortiums, wurde mit 800 Millionen Dollar subventioniert, das zweite Modell, der Airbus A310, mit einer Milliarde, das nächste mit 2,5 Milliarden Dollar. Die Konstruktion der beiden letzten Modelle des A330 und des A340 wurden mit zusammen 4,5 Milliarden Dollar von den beteiligten Staaten unterstützt. Der Airbus Industrie gelang es so, von 1971 bis heute einen Weltmarktanteil bei Passagiermaschinen von über 25% zu erkämpfen. Die deutschen Kapitalisten sind an diesem Geschäft über die Dasa, eine Tochter des Daimler-Benz-Konzerns beteiligt.

Ein weiteres Beispiel ist die Eroberung des chinesischen Marktes, die ebenfalls mit massiver staatliche Unterstützung erfolgt, wie die Auftragserteilung für den U-Bahnbau in Schanghai an deutsche Firmen gezeigt hat.

Bei Daimler, Siemens und ABB knallen die Sektkorken. Gegen starke internationale Konkurrenz haben die Konzerne den Folgeauftrag für die Metro in Schanghai ergattert … Mit stolzen 780 Millionen Mark an billigen Krediten steht letztlich der deutsche Steuerzahler für das Geschäft gerade. [22]

Das Ziel ist es, den Markt zu kontrollieren das heißt die Konkurrenz auf dem Weltmarkt und die Konkurrenz auf dem „eigenen“ Binnenmarkt möglichst zu beschränken, um die Preise heraufsetzen zu können, ohne Marktanteile einzubüßen und bei der nächsten Krise nicht bankrott zu gehen. Diese Kontrolle praktizieren zum Beispiel die Mineralöl- und die Pharmaindustrie ganz offen. Deswegen werden von allen Ölkonzernen die Benzin- und Heizölpreise fast gleichzeitig heraufgesetzt, und deswegen sind die Arzneimittelpreise in Deutschland durchweg höher als im benachbarten Ausland.

Die fünf größten Autokonzerne in der Europäischen Gemeinschaft kontrollieren zwei Drittel des europäischen Marktes, die fünf größten Elektronikkonzerne kontrollieren ebenfalls zwei Drittel ihres Branchenmarktes, in der Chemieindustrie ist etwa die Hälfte des Marktes in Europa in der Hand von fünf Anbietern, und in der Pharmaindustrie liegt der entsprechende Marktanteil der Branchenführer bei knapp einem Drittel. [23]

Der Konkurrenzkampf auf nationaler Ebene führt zu einer wachsenden Konzentration wirtschaftlicher Macht in der Hand von großen Konzernen. Der Umsatz von Daimler Benz zum Beispiel ist in den letzten 40 Jahren um das 33fache gestiegen, während sich im gleichen Zeitraum das Bruttoinlandsprodukt Deutschlands nur verzehnfacht hat. [24]

Der Abstand der Giganten ist geschrumpft: War 1966 die Nummer eins der USA, General Motors, am Umsatz gemessen rund zehnmal so groß wie der damals größte deutsche Industriekonzern, nämlich VW so ist GM heute nur noch doppelt so groß wie die Daimler-Benz-Gruppe, die VW vom Spitzenplatz in Deutschland verdrängt hat. [25]

„Die Konzerne unterliegen auf dem Weltmarkt den gleichen Widersprüchen, mit denen sie auf den nationalen Märkten konfrontiert waren. Doch während beim Konkurrenzkampf auf dem Binnenmarkt der Staat höchstens durch Handelsabkommen mit dem Ausland in Erscheinung tritt, nimmt er jetzt auch die Interessenvertretung der eigenen Kapitalisten auf der ganzen Welt wahr.“

Das beginnt bei Handelsabkommen und kann beim Einsatz von Militär enden.

Der Nationalstaat hat, entgegen der Theorie von der Globalisierung der Weltmärkte, also nichts von seiner zentralen Bedeutung für die Kapitalisten eingebüßt. Es handelt sich vielmehr um einen widersprüchlichen Prozeß. Denn gerade die Internationalisierung der Produktion durch die Direktinvestitionen im Ausland führt zu einer wachsenden Bedeutung von staatlichem Handeln in Form von finanzieller und politischer Hilfestellung für die Konzerne, damit sich diese gegenüber der Konkurrenz durchsetzen können.

Während der Abbruch von Handelsbeziehungen durch ein Land im schlimmsten Fall unbezahlte Rechnungen zur Folge hat, ist der der Verlust von ganzen Produktionsanlagen oder Krediten durch Verstaatlichung, Betriebsbesetzungen oder anderen Ereignissen wesentlich kostspieliger. Deswegen gewinnen die politischen Beziehungen im Zusammenhang mit den ökonomischen an Bedeutung, um die politischen Rahmenbedingungen für den Kapitalexport abzusichern.

Die Vertreter der Globalisierungstheorie sehen in der Internationalisierung der Produktion die Ursache für eine Verschärfung der weltweiten Konkurrenz, anstatt die wieder beginnende, alle Länder umfassende Krise des Kapitalismus als Motor für die sogenannten Globalisierung zu erkennen. Mit dem Ende des Kalten Krieges beginnt die ökonomische Konkurrenz, auch die politischen Kräfteverhältnisse in der Welt zu verschieben. Deutschland sei ein ökonomischer Riese, aber leider nur ein politischer Zwerg, bedauerten vor allem die Konservativen die durch die beiden Militärblöcke über Jahrzehnte eingefrorenen internationalen politischen Kräfteverhältnisse, die den wirtschaftlichen schon lange nicht mehr entsprachen.

Seit der Wiedervereinigung ist die herrschende Klasse in Deutschland bemüht, aus dem ökonomischen Riesen auch einen politischen zu machen. Die Auslandseinsätze der Bundeswehr und das Streben nach einem Sitz im UN-Sicherheitsrat sind die sichtbarsten Zeichen dafür.

Ein weiterer Irrtum der Globalisierungstheoretiker ist, daß sie glauben, der Kapitalismus sei vor seiner sogenannten Globalisierung ein politisch regulierbares Wirtschaftssystem gewesen. John Kenneth Galbraith, ein US-amerikanischer Volkswirtschaftler und einer der bekanntesten Anhänger des Keynesianismus, stellte in den sechziger Jahren einen wachsenden Anteil des Staates am nationalen Wirtschaftsgeschehen fest, der sich nicht nur, aber zu einem sehr großen Teil aus Rüstungsausgaben zusammensetzte. Das war für ihn die Basis einer erfolgreichen Wirtschaftspolitik:

Hinzu kommt noch, daß seit der sogenannten Keynesschen Revolution der Staat in die Wirtschaft eingreift und Einfluß auf den für Güter und Dienstleistungen verfügbaren Teil des Volkseinkommens nimmt. Er bemüht sich, eine für den jeweiligen Ausstoß der Produktionsbetriebe ausreichende Kaufkraft sicherzustellen. Im Zuge der daraus resultierenden Vollbeschäftigung versucht er außerdem … zu verhindern, daß Löhne und Preise in einer endlosen Spirale einander gegenseitig hochtreiben. Die Güterproduktion erreichte in der jüngsten Vergangenheit einen bemerkenswert gleichmäßigen Höchststand – vielleicht ein Ergebnis dieses Arrangements, vielleicht aber auch ein Prüfstein dafür, wo der unerschütterliche Optimismus des Menschen seine Grenzen hat. [26]

Doch auch in dieser ökonomischen Stabilitätsphase in den ersten beiden Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg waren es die Kapitalisten, die die Politik des Staates bestimmt haben, und nicht umgekehrt. Die wenig später folgenden Krisen sind der Beweis dafür, daß die Widersprüche des Kapitalismus nicht aufgehoben waren. Die massive Aufrüstung hatte lediglich dazu geführt, daß der Fall der Profitrate abgebremst worden war. Der Rüstungswettlauf diente aber überhaupt nicht diesem Ziel, sondern der militärischen Konkurrenz mit dem Ostblock und damit den politischen Interessen der Kapitalisten.

Die verschärfte Konkurrenzsituation, die sich hinter der sogenannten Globalisierung verbirgt, führt in allen Ländern zu Angriffen auf die Arbeiterklasse, weil die Kapitalisten nicht einfach mit der kompletten Produktion in die sogenannten Billiglohnländer ausweichen können. Die einzige Chance für die Arbeiterklasse, ihre Interessen zu wahren, besteht darin, in ihrem Land den Widerstand gegen die Auswirkungen des zerstörerischen Kapitalismus aufzubauen und aus diesen Kämpfen die Kraft und die Organisation für seinen Sturz zu gewinnen.

 

Anmerkungen

1. Frankfurter Rundschau, 28.08.96

2. Frankfurter Rundschau, 29.08.96

3. Joachim Hirsch, Vom Sicherheits- zum nationalen Wettbewerbsstaat, in: links 4/94, S.32f.

4. Trotz der starken Repressionen, denen Gewerkschaften in Südkorea ausgesetzt sind, konnte es die Regierung nicht verhindern, daß das Lohnniveau dort heute höher ist als in den Nachbarstaaten. Die beiden großen Konzerne Hyundai und Samsung verlagerten deswegen einen Teil besonders lohnintensiver Produktionsbereiche dorthin. Südkorea exportiert aber nicht nur in diese Länder Kapital, auch in Europa und den USA werden inzwischen Produktionsanlagen errichtet bzw. sind in Planung. Trotzdem befinden sich die südkoreanischen Kapitalisten nach wie vor in einer vergleichsweise schwachen Position, weil das Land weiterhin auf die Einfuhr von Produktionsanlagen und Infrastruktureinrichtungen angewiesen ist, während sich die Nachfrage nach den eigenen Exportprodukten nicht so stark wie geplant entwickelt hat. Südkorea weist deswegen eine negative Handelsbilanz auf.

5. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21.05.96

6. Angaben von 1971 aus: Folker Fröbel u.a., Die neue internationale Arbeitsteilung, Hamburg 1977, S.392; Angaben für 1995 aus: Die Zeit, 09.08.96

7. Deutsche Bundesbank, Monatsberichte, Frankfurt 1996

8. Der Spiegel, 29.06.92

9. Frankfurter Rundschau, 27.09.95

10. Letzter Wert aus: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18.08.96, übrige Werte aus: WSI Mitteilungen 4/1984, S.237

11. Wirtschaftswoche, 05.09.96

12. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18.08.96

13. M. Holthus (Hrsg.), Die deutschen Multinationalen Unternehmen, Frankfurt 1974, S.181 u. 182

14. ebenda und Monatsberichte der Deutschen Bundesbank, eigene Zusammenstellung

15. Nikolai Bucharin, Imperialismus und Weltwirtschaft (geschrieben 1915), Reprint: Frankfurt 1969, S.105

16. Robert B. Reich, Die neue Weltwirtschaft, Frankfurt 1996, S.125f.

17. Hans-Peter Martin und Harald Schumann, Die Globalisierungsfalle, Hamburg 1996, S.90f.

18. Der Spiegel, 39/96

19. Die Immobilienpreise in Japan z.B. stiegen aufgrund von Spekulationsgeschäften in schwindelerregende Höhen und brachen dann Anfang der neunziger Jahre jäh zusammen. Rund 23 Milliarden Mark mußten die Banken daraufhin als Verluste abschreiben, weil die Verlierer dieses Pokerspiels zahlungsunfähig geworden waren (nach einem Bericht der Frankfurter Rundschau vom 01.10.96).

20. Edward N. Luttwak, Weltwirtschaftskrieg, Hamburg 1994, S.430f.

21. Nikolai Bucharin, Imperialismus und Weltwirtschaft, S.151 .Die Thesen von Karl Kautsky wurden veröffentlicht in: Nationalstaat, imperialistischer Staat und Staatenbund, sowie in Aufsätzen, die für die Neuen Zeit in den Jahrgängen 1914/15 geschrieben wurden.

22. Frankfurter Rundschau, 02.08.96. Der Chef von Siemens, Heinrich von Pierer, hatte bereits im Jahr davor erklärt: „Für einen Global-Player ist das Asiengeschäft eine Überlebensfrage“ und damit die Erwartung verbunden, daß die Bundesregierung entsprechende Maßnahmen einleiten würde, um den zweitgrößten deutschen Konzern, der bereits 1994 einen Jahresumsatz von über 80 Milliarden Mark erzielte, gezielt zu unterstützen. Die Bundesregierung gründete den Asien-Pazifik-Ausschuß (APA), der eine enge Abstimmung der Außenpolitik mit den Interessen der Wirtschaft verfolgt. Die Wirtschaftswoche schrieb am 23.02.95:

Ganz im Sinne des APA ist zum Beispiel der verstärkte Einsatz von Entwicklungshilfe zur Finanzierung von Großaufträgen auch in den wohlhabenderen Schwellenländern der Region. Noch wichtiger: Die Neufassung der Hermes-Exportkreditvergabe vom August 1994 kommt in erster Linie dem Asiengeschäft zugute, für das die Gebühren um rund ein Drittel gesenkt wurden.

23. IHK Frankfurt am Main, Mitteilungen, 15.02.90

24. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 09.07.96

25. Wirtschaftswoche, 18.09.92

26. Kenneth Galbraith, Die moderne Industriegesellschaft, München 1968, S.10 u. 11

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